CRISPR-Babys: An der Grenze zur Kriminalität

Technology Review liegen unveröffentlichte Manuskripte des chinesischen Forschers vor, der Ende 2018 die erste Geburt von geneditierten Babys verkündete. Für Experten werfen sie viele Fragen auf – und zeigen schwere Verstöße.

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(Bild: gopixa/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Der US-Ausgabe von Technology Review wurde ein unveröffentlichtes Manuskript zugespielt, das die Erschaffung der ersten Babys mit editiertem Genom in China beschreibt. Der Aufsatz mit dem Titel "Birth of Twins After Genome Editing for HIV Resistance" hat einen Umfang von 4.699 Worten und wurde verfasst von He Jiankui, dem chinesischen Biophysiker, in dessen Labor die Geburt der Zwillingsmädchen vorbereitet wurde. Außerdem hat Technology Review ein zweites Manuskript erhalten, in dem Forschung mit Menschen- und Tier-Embryos diskutiert wird.

Laut den Metadaten der Dateien wurden die beiden Entwürfe Ende November 2018 von He editiert; es dürfte sich dabei um die Aufsätze handeln, die er für eine Veröffentlichung einreichte. Möglicherweise gibt es auch ein Manuskript, das beide zusammenfasst. Mindestens zwei angesehene Fachzeitschriften – Nature und JAMA – haben eine Veröffentlichung geprüft, doch bislang ist sie nirgendwo erfolgt.

Der Text der beiden Aufsätze ist voller großer Behauptungen über einen medizinischen Durchbruch, der "die HIV-Epidemie kontrollieren" könne. Mehr als einmal wird das Wort "Erfolg" verwendet, in Zusammenhang mit einer "neuartigen Therapie", um die Mädchen HIV-resistent zu machen. Überraschenderweise aber enthalten die Aufsätze kaum Belege dafür, dass dies tatsächlich gelungen ist. Außerdem ignorieren sie weitgehend Daten, die dafür sprechen, dass bei der Gen-Editierung etwas schiefgelaufen ist.

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Technology Review hat die unveröffentlichten Manuskripte drei Experten vorgelegt. Ein Jurist, eine Embryologin und ein Spezialist für Gen-Editierung sollten ihre Meinung dazu sagen.

1. Warum sind keine Ärzte unter den Autoren?

Das erste Manuskript beginnt mit einer Liste der Autoren – insgesamt zehn, die überwiegend am Labor von He Jiankui an der Southern University of Science and Technology arbeiten. Genannt werden zudem Hua Bai, Leiter einer AIDS-Hilfegruppe, der bei der Rekrutierung von Paaren geholfen hat, und Michael Deem, ein US-Biophysiker, dessen Rolle derzeit von der Rice University untersucht wird.

Für ein derart bedeutendes Projekt sind das relativ wenige Beteiligte. Unter anderem liegt dies daran, dass einige nicht genannt werden – insbesondere die Befruchtungsspezialisten und der Geburtshelfer. Sie wegzulassen, könnte ein Versuch sein, die Identität der Patienten zu verschleiern. Aber dadurch bleibt offen, ob diese Ärzte wussten, dass sie zur Erschaffung der ersten geneditierten Babys beitragen.

Hank Greely, Rechtsprofessor an der Stanford University: Wir haben keine oder fast keine unabhängigen Belege für irgendetwas von dem, was in dem Aufsatz berichtet wird. Ich glaube zwar, dass die DNA der Babys wahrscheinlich editiert wurde und sie geboren wurden, aber Beweise dafür gibt es kaum. Angesichts der Umstände wäre ich bereit, bei He Jiankui davon auszugehen, dass er die Wahrheit sagt.

2. Die eigenen Daten der Forscher unterstützen ihre Behauptungen nicht

Im Abstract des Aufsatzes werden die Ziele des Projekts – HIV-resistente Menschen erschaffen – und die wichtigsten Ergebnisse erläutert. Das Team sei "erfolgreich" darin gewesen, eine Mutation in einem Gen namens CCR5 zu "reproduzieren". Mit dieser Mutation (CCR5 delta 32) werden sehr wenige Menschen natürlich geboren, und sie können immun gegen eine HIV-Infektion sein.

Doch die Zusammenfassung geht weit über das hinaus, was im Rest des Aufsatzes belegt wird. Konkret konnte das Team die Mutation in Wirklichkeit gar nicht reproduzieren (dazu später mehr). Stattdessen haben die Forscher neue Mutationen kreiert, die eine HIV-Resistenz bedeuten können oder auch nicht. Überprüft wurde das laut dem Aufsatz nicht.

Fyodor Urnov, Wissenschaftler, Innovative Genomics Institute, University of California, Berkeley: Die Behauptung, dass die vorherrschende CCR5-Variante reproduziert wurde, ist eine eklatante Falschdarstellung der tatsächlichen Daten und lässt sich nur als absichtliche Täuschung bezeichnen. Die Studie zeigt, dass es dem Team nicht gelungen ist, die vorherrschende CCR5-Variante zu reproduzieren. Die Aussage, Embryo-Editierungen würden Millionen Menschen helfen, ist so illusorisch wie empörend. Genau so gut könnte man sagen, der Mondspaziergang 1969 "bringt Hoffnung für Millionen Menschen, die auf dem Mond leben wollen".

3. Die Eltern nahmen möglicherweise aus den falschen Gründen teil

Anders als zum Teil vermutet wurde, ging es bei der Anwendung von CRISPR auf die DNA der Babys nicht darum zu verhindern, dass sie vom ihrem infizierten Vater HIV bekommen. Wie es im Aufsatz heißt, wurde dies durch eine Samenwäsche erreicht – eine lange etablierte Technik. Stattdessen sollte die Editierung die Kinder für später im Leben HIV-resistent machen ­– das Experiment bringt somit keine deutlichen und unmittelbaren medizinischen Vorteile für die Eltern oder die Kinder. Warum hat das Paar trotzdem mitgemacht? Möglicherweise ging es ihm darum, überhaupt eine künstliche Befruchtung zu bekommen.

Rita Vassena, wissenschaftliche Leiterin, Eugin Group: Ich finde beunruhigend, dass der Ehemann, dem diese experimentelle Gen-Editierung angeboten wurde, HIV-positiv war – man kann sich den unnötigen emotionalen Druck vorstellen, unter dem das Paar stand. Es sollte einem Eingriff zustimmen, das keine Verbesserung für die Gesundheit des Mannes und der Kinder versprach, aber das Risiko negativer Auswirkungen mit sich brachte.

Man sollte nicht vergessen, dass eine HIV-Infektion nicht wie eine Erbkrankheit von Generation zu Generation weitergegeben wird – der Embryo muss die Infektion erst erwerben. Aus diesem Grund lässt sich eine Infektion mit präventiven Maßnahmen wie der Kontrolle der Virenlast beim Patienten mit passenden Medikamenten und sorgfältigem Umgang mit den Keimzellen bei der Befruchtung sehr effizient vermeiden. Derzeitige Techniken für künstliche Befruchtung machen eine sichere Fortpflanzung für HIV-positive Männer und Frauen möglich. Sowohl eine horizontale Übertragung (zwischen Partnern) als auch eine vertikale (zwischen Eltern und Embryo/Fötus) lässt sich verhindern, was das Editieren von Embryos in diesen Fällen unnötig macht.

Tatsächlich wurden solche Verfahren bei dem Paar angewendet; mit einer umfassenden Samenwäsche wurde jegliche Samenflüssigkeit entfernt, die HIV enthalten könnte. Mit Samenwäsche wird in Laboren für künstliche Befruchtung seit fast zwei Jahrzehnten gearbeitet, weltweit und bei tausenden Patienten. Nach unserer Erfahrung und der von anderen ist sie sicher für beide Elternteile und ihre zukünftigen Kinder und erfordert keine invasive Manipulation von Embryos.