Post aus Japan: Chaos auf dem Kreuzfahrtschiff um das Coronavirus

Ein japanischer Arzt berichtet über chaotische Zustände an Bord der Princess Diamond. Nun dürfen die ersten Passagiere von Bord, möglicherweise mit dem Virus.

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Kreuzfahrtschiff auf See

Die Diamond Princess.

(Bild: "Diamond Princess" / Alpsdake / Wikipedia / cc-by-sa-4.0)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

In Krisen fällt es leicht, Regierungen Bürokratieversagen vorzuwerfen. Oft auch zurecht. Auch die Coronavirus-Epidemie ist da keine Ausnahme. In Japan hat nun ein Virologe die Zustände auf dem Kreuzfahrtschiff Princess Diamond öffentlich gemacht, auf der bis Mittwoch 3.700 Passagiere unter Quarantäne standen. Oder eben auch nicht wirklich.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Kentaro Iwata heißt der Virologe der Universität Kobe, der sich am Dienstag Zugang zum Schiff verschafft hat. Er wollte helfen und seine professionelle Neugier befriedigen. Denn für seinen Geschmack traten für ein Schiff, das unter Quarantäne stand, offenbar zu viele Infektionen auf. Seinen Schrecken teilte er dann prompt auf der Videoplattform YouTube mit und landete damit einen (inzwischen wieder entfernten) viralen Hit.

Die englische Version wurde bis Mittwochabend fast 240.000 mal geklickt, die japanische über 1,2 Millionen mal. So horrend war sein Befund: Er sei schon bei der beim verwandten SARS-Virus in China im Jahr 2003 und bei der Ebola-Welle in Afrika dabeigewesen, doch so problematisch war es nie. "Ich habe nie Angst gehabt, mich zu infizieren, weil ich wusste, wie ich mich und andere beschütze", erinnert er sich. "Aber auf der Princess Diamond hatte ich Angst."

Schiffe sind natürlich recht effizient darin, an Bord grassierenden Viren nicht an Land zu lassen. Aber durch die Enge der Quartiere sind sie weniger geeignet, um an Bord Ansteckungen zu verhindern. Insgesamt wurden bisher 542 Fälle bekannt. Und für Iwata ist die hohe Zahl nur konsequent. Denn der Arzt malt ein Bild von Chaos, bei dem die erprobten Isolationsprotokolle erst gar nicht umgesetzt worden waren. So war das Schiff nicht in "grüne" (sichere) und "rote" (unsichere) Zonen aufgeteilt, in denen sich die Mitarbeiter nur in Schutzkleidung hätten aufhalten dürfen.

Die Crew und die bemühten Hilfskräfte bewegten sich daher frei durch das Schiff und verteilten die Viren im Zweifel gleichmäßig zu allen Kabinen. Beamte und nicht Mediziner sah er die Befehle geben. Doch überall fehlte elementares Wissen über den richtigen Schutz. Sogar ihre Mahlzeiten verzehrten Mitarbeiter wie Helfer teilweise auf den Gängen, behauptet Iwata. Nicht einmal die Doktorin habe sich geschützt.

Dennoch ließ Japans Gesundheitsministerium am 19. Februar erstmals einige hundert Passagiere von Bord, deren Virentests negativ ausgefallen waren. Aber in ihren Heimatländern droht vielen Passagieren erneut eine zweiwöchige Isolation, und dies aus gutem Grund: Das amerikanische Seuchenkontrollamt warnte bereits, dass die Quarantäne auf dem Kreuzfahrtschiff ungenügend gewesen sei und die Entlassung der Passagiere ein "fortlaufendes Risiko" einer Ausbreitung des Virus darstelle.

Doch dazu bedarf es der Passagiere der Princess Diamond nicht. In Japan und Südkorea verbreiten sich die Viren inzwischen innerhalb der Bevölkerung. Noch sind die Fallzahlen niedrig. Aber der japanische Virologe Hitoshi Oshitani von der Tohuku-Universität warnte bereits, dass die Wahrscheinlichkeit des Best-Case-Scenarios, eine Vermeidung einheimischer Infektionen, damit schon auf null geschrumpft sei.

Er glaubt nun zumindest an eine moderate Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Japan. In diesem Planspiel rechnet er zwar mit lokal begrenzten Ausbrüchen. Aber er hofft, dass die neuen Suchprotokolle und die aufgestockten Testkapazitäten das Gesundheitssystem in die Lage versetzen wird, Infektionsketten früh aufzuspüren und wenigstens teilweise zu unterbrechen.

Wer dennoch krank wird, dem ist nicht mehr viel zu helfen, spitzte Oshitani die Lage zu. Vieles bei dem Virus ist noch nicht vollständig bekannt. Darunter auch die Übertragungswege. Auch gibt es im Gegensatz zur Grippe noch keine verlässliche Medizin. Zum Glück scheint die Sterblichkeit bei jungen Leuten bis in ihre 40er Jahre hinein deutlich unter einem Prozent zu liegen.

Dies könnte immer noch viele Tote bedeuten, wenn sich Oshitanis Albtraumszenario durchsetzt: eine große Ausbreitung des Virus wie in seinem chinesischen Ursprungsort Wuhan. Deren elf Millionen Einwohner hat Chinas Regierung prompt unter Quarantäne gestellt, und dann die gesamte Provinz gleich noch dazu.

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Eine massive Infektionswelle könnte nicht nur in Japan einige Ortschaften überfordern. Größere Sorgen macht sich Oshitani um asiatische und afrikanische Entwicklungsländer. Denn er geht davon aus, dass sich das Virus dort bereits ungesehen ausbreitet, da in vielen Ländern kaum Tests durchgeführt würden. Wenn sich Covid-19 wirklich globalisiert, sieht Oshitani sogar die olympischen Sommerspiele in Gefahr, die Ende Juli beginnen sollen.

Die gute Nachricht für Deutschland: Die Gesellschaft und die Regierung haben Zeit, von Japans Überrumplung durch den Virus zu lernen. Und eine Lehre lautet, dass auch europäische Industrieländer sicherheitshalber ihre Kapazitäten für Virentests erhöhen und sich alte Krisenprotokolle anschauen sollten. Genauso wichtig ist, dass Deutschland und andere Industrieländer medizinische Hilfeleistungen für Entwicklungsländer vorbereiten.

Noch sind aus denen kaum Fälle bekannt, aber eher wegen fehlender Tests und nicht wegen fehlender Coronaviren. Doch die Verhinderung oder wenigstens Eindämmung großer Ausbrüche dürfte sehr wichtig werden.

Denn mit jedem epidemischen Cluster könnten auch die negativen Folgen für die Wirtschaft der Welt – und damit auch Deutschlands wachsen. Hilfe in Entwicklungsländern wäre daher in diesem Fall ökonomischer Eigennutz.

(bsc)