Polizei erhält in mehreren Bundesländern Listen von Coronavirus-Infizierten

In einigen Bundesländern ist ein Streit über die Weitergabe von Daten über Covid-19-Patienten an Ordnungshüter entbrannt. Die Begehrlichkeiten sind groß.

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Polizei erhält in mehreren Bundesländern Listen von Coronavirus-Infizierten

(Bild: Polizei Baden-Württemberg)

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Vorige Woche bezog die Polizei in Baden-Württemberg von mehreren Gesundheitsämtern des Bundeslandes Daten über Personen, die sich mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt haben. Nun ist bekannt geworden, dass es ähnliche Vorgänge zumindest auch in Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt.

Die Polizei verlangt die Daten, die oft auch Angaben zu Quarantänebestimmungen und Kontaktpersonen enthalten, um sich schützen zu können. "Solche Infizierten-Listen haben bei der Vollzugspolizei nichts verloren", meint der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink. Netzpolitik.org sagte er: "Sie müssen, wenn sie dort in rechtswidriger Weise hingereicht wurden, sofort gelöscht werden."

Beim SWR war zunächst von drei Gesundheitsämtern in Baden-Württemberg die Rede, die Listen an die Polizei weitergäben und sich dabei auf das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst beriefen. Das Innenministerium unterstütze dies. Mehr als die Hälfte der 13 regionalen Polizeipräsidien des Landes bestätigten inzwischen gegenüber Netzpolitik.org, Daten zumindest in Teilen erhalten zu haben.

In Mecklenburg-Vorpommern hat laut NDR Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) die Gesundheitsämter der Landkreise und kreisfreien Städte angewiesen, Adressen und Wohnorte von Corona-Infizierten an die Polizeipräsidien des Landes weiterzuleiten. Der Präsident der Ärztekammer in Mecklenburg-Vorpommern, Andreas Crusius, sieht einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. Es sei kein gesetzlicher Notstand ausgerufen, der das rechtfertigen würde, sagte Crusius. Wenn die Polizei dringend Auskunft brauche, lasse sich das im Einzelfall erledigen. Laut Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) berieten sich wieder die beteiligten Ministerien für Gesundheit und Inneres mit den Kommunen.

Der Landesdatenschutzbeauftragte Heinz Müller trug den Datentransfer grundsätzlich mit. Der Schutz der Patientenrechte sei dabei gegen die "lebenswichtigen Interessen der Beamten" im Einsatz abgewogen worden, meinte er, auch wenn ihm sein Einverständnis nicht leichtgefallen sei. Dass die Listen per Mail direkt an sämtliche Einsatzleitstellen der Polizei gehen, hat Müller aber inzwischen zu denken gegeben. Es müsse zumindest gewährleistet sein, dass die Daten auf einem sicheren Weg übertragen werden und der Kreis der Zugriffsberechtigten eingeschränkt sei.

Das niedersächsische Innenministerium plant Netzpolitik.org zufolge ebenfalls eine Anordnung, "Quarantänelisten" landesweit der Polizei zu übermitteln. Die Polizeidirektionen Göttingen und Osnabrück hätten bestätigt, von einem Teil der Gesundheitsämter bereits Daten wie Name und Anschrift Infizierter auf Basis eines Sicherheitserlasses des Landes eingeholt zu haben. Die niedersächsische Datenschutzbehörde prüfe die Fälle momentan.

Die bremische Datenschutzbeauftragte Imke Sommer hat den bereits praktizierten Datenaustausch über Covid-19-Erkrankte zwischen Gesundheitsbehörde und Polizei zunächst gestoppt, es gebe dafür keine Rechtsgrundlage. Der Prozess werde aus datenschutzrechtlicher Sicht in Abstimmung mit Sommer aktuell neu definiert, hieß es vom Bremer Innensenat laut dem Bericht. Die Behörden in Sachsen-Anhalt hätten nicht reagiert, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Thüringen hätten es negiert, dass Listen gesammelt würden.

Auch in Baden-Württemberg wird inzwischen umgedacht, nachdem dort auch das Sozialministerium interveniert hatte. Daten über Corona-Infizierte zu übermitteln sei unzulässig, heißt in einem Schreiben des Hauses von Manfred Lucha (Grüne) an alle Gesundheitsämter. Das von Thomas Strobel (CDU) geführte Innenressort beharrt aber darauf, dass diese Behörden zumindest in Einzelfällen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes und bei Gefahr im Verzug weiter personenbezogene Daten an die Ortspolizei senden dürften. Es werde auch mit dem Datenschutzbeauftragten nach einer Lösung gesucht. (anw)