Lockdowns weltweit: Verbesserte Luftqualität verlängert Leben

Laut einer internationalen Studie haben die Corona-Maßnahmen Verschmutzungen der Luft um bis zu 20 Prozent reduziert. Unserer Gesundheit ist das sehr dienlich.

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Straßenverkehr

Weniger Verkehr = bessere Luft.

(Bild: dpa, Patrick Pleul/Archiv)

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Das neuartige Coronavirus ist nicht die einzige unsichtbare Bedrohung. Mit anderen, gar selbst produzierten Gefahren lebt der Mensch schon seit Jahrzehnten. Dabei nimmt er sie kaum noch wahr, atmet sie aber täglich ein. Experten schätzen, dass weltweit im Schnitt 8,8 Millionen Menschen im Jahr an den Folgen von Luftverschmutzung sterben. Stickstoffdioxid führt darüber hinaus jährlich zu etwa vier Millionen neuen Asthma-Erkrankungen bei Kindern.

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Normal ist seit den letzten Wochen aber nichts mehr. In China wurden im Januar Lockdown-Maßnahmen eingeführt; viele weitere Länder, unter anderem Spanien, Frankreich und Deutschland folgten im März. Ein norwegisch-deutsch-zypriotisches Forschungsteam, darunter Wissenschaftler des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie, haben im Rahmen einer Studie die aktuell als Preprint vorliegt, Veränderungen der Luftqualität in insgesamt 27 Ländern untersucht. Für den Zeitraum der ersten zwei Wochen, in denen COVID-19-Einschränkungen in Kraft getreten sind, erfassten sie die Feinstaub- und Giftbelastung. Das Team ist dabei der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf die Luftqualität und die Gesundheit der Menschen haben.

Der Großteil der Luftverschmutzung lässt sich auf Stromerzeugung, Industrie, Verkehr und dem Energieverbrauch in Privathaushalten zurückführen. Auch wenn jedes Land unterschiedliche Regelungen durchgesetzt hat, vieles haben sie gemeinsam: in den ersten Wochen des Lockdowns steht die Wirtschaft weitestgehend still, Tourismus findet kaum mehr statt. Schule, Geschäfte und Grenzen: geschlossen. Verkehr und öffentliches Leben: erheblich eingeschränkt. Diese nie dagewesene Ausnahmesituation ermöglichte es, erstmalig in der Geschichte, den Kurzzeiteffekt des radikalen Emissionsrückgangs auf Atmosphäre und Luftqualität zu messen. Die Forscher werteten zum einen die Feinstaubbelastung anhand von Satellitendaten aus, zum anderen erfassten sie Bodenmessungen an über 10.000 Stationen – unter Berücksichtigung meteorologischer Schwankungen.

Insgesamt ist die Luftverschmutzung innerhalb der ersten beiden Wochen während der Lockdowns um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Aufgrund der bekannten Belastungen mit Stickstoffdioxid, Ozon und Feinstaub war es möglich, in den jeweiligen Ländern die tägliche Gesundheitsbelastung angepasst an die Bevölkerungsdichte zu berechnen und Prognosen darüber anzustellen, wie viele Todesfälle und neue Asthmaerkrankungen unter Kindern bis zum Jahresende vermeidbar wären, würden die emissionssenkenden Einschränkungen weiter bestehen.

Die Prognose: Allein in diesen ersten zwei Wochen sind schätzungsweise 7.400 frühzeitige Tode und 6.600 neue Asthma-Erkrankungen verhindert worden. Würden die Einschränkungen bis Ende 2020 anhalten – was freilich schwere wirtschaftliche Verwerfungen zufolge hätte –, sei mit der Verhinderung von 780.000 frühzeitigen Toden und 1,6 Millionen Asthma-Neuerkrankungen zu rechnen. Die Forscher räumen ein, dass es sich bei den Messungen um Stichproben handelt, die nur bedingt repräsentativ für ganze Länder gewertet werden können. Was die Ergebnisse aber unabweisbar vor Augen führen, ist dies: das Gesellschafts- und Arbeitsmodell vor COVID-19 ("business as usual") kann durchaus als gesundheitsgefährdend gelten. Es hat tödliche – und vermeidbare – Folgen für Millionen Menschen weltweit.

Der Ruf nach Lockerungen der Maßnahmen wird nach bald zwei Monaten immer lauter. Die Autoren der Studie, Zander S. Venter, Kristin Aunan, Sourangsu Chowdhury und Jos Lelieveld, betonen, keineswegs suggerieren zu wollen, dass die Pandemie in irgendeiner Weise der menschlichen Gesundheit dienen würde.

Doch biete die Krise durch die möglich gewordenen Messungen eine nützliche neue Perspektive auf die globale Luftverschmutzung und ihre Folgen. Im Schnitt verkürzt sie menschliches Leben um 2,9 Jahre. Ursache für den früheren Tod sind vor allem Herz- und Kreislauferkrankungen.

(bsc)