Was Sensoren alles sehen

Millionen Sensoren sind über die Welt verteilt, in Autos, Zügen oder Landmaschinen. Sie zeichnen Daten auf, die es vorher gar nicht in dieser Dichte gab.

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Was Sensoren alles sehen

(Bild: Collage: Technology Review; Fotos: Raspberry Pi, Eumetsat, Shutterstock)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Für Speditionen und deren Kunden ist es seit Jahren selbstverständlich, den Standort ihrer Lkw und damit der transportierten Ware zu verfolgen. Anders bei der Bahn: Laufzettel gab es zwar schon zu Zeiten der früheren gesamtdeutschen Reichsbahn, Funketiketten (RFID, Radio Frequency Identification) an den Waggons und passende Sensorik entlang der Gleise sind auch längst nichts Neues mehr. Doch es gelang bislang nur schwer, die Güterwagen wirklich zu verfolgen. Dank des Internets der Dinge (IoT) weiß die Bahn seit Kurzem mehr: Wo exakt sich ein Wagen und damit dessen Fracht befindet und wie viele in Fahrt sind oder stehen, können DB Cargo und deren Kunden in Echtzeit kontrollieren (siehe Grafik). Damit nicht genug: Die Sensorik an den Fahrzeugen überwacht den Zustand der Wagentechnik, erkennt, wann Verschleißteile wie Bremsen oder Radlager gewartet oder ersetzt werden müssen und ob es andere Schäden am Rollmaterial gibt. Oder – für temperaturkritische Waren wichtig – welche Temperatur im Waggon herrscht.

Mit satellitengestützter Navigation (GPS) ist es zwar kein Problem, Fahrzeuge zu lokalisieren, und Messfühler liefern Informationen zu Fahrzeugtechnik und -zustand. Die Kunst besteht jedoch darin, die Daten auszuwerten. Dabei hilft, nicht nur bei der DB, ein „digitaler Zwilling“. Jeder Güterwagen hat eine eindeutige Nummer, sämtliche zum Waggon anfallenden Daten werden dieser Nummer zugeordnet. Scheinbar ein alter Hut für jeden, der schon mal eine Datenbank erstellt hat. Aber, so Cord Gatzka bei DB Systel, dem Anbieter von Informations- und Telekommunikationsdiensten der Deutschen Bahn: „Der Unterschied ist: In einer Datenbank finde ich nur die Informationen, die ich beispielsweise zu einem bestimmten Waggon hinterlege. Mit dem digitalen Zwilling jedoch erstellen wir ein virtuelles Abbild des Waggons aus Einzeldaten.“

Beispiel: Nicht jeder Waggon ist mit einem GPS-Sender bestückt. Doch wenn ein Sender im Zug Positionsdaten liefert, kann man aus dessen Informationen sowie der Kenntnis von Wagenzahl und -abmessungen, Streckenlänge, -verlauf und erlaubter Geschwindigkeit sowie den Signalen von RFID-Chips für jeden Waggon dessen Position genau bestimmen. Es muss also nicht jeder Güterwagen alle gewünschten Daten mit eigener Sensorik liefern – einige wenige Informationen genügen bereits für ein vollständiges Bild. Das Elegante am neudeutsch „Digital Twin“ genannten Ansatz ist laut Cord Gatzka: „Mit den virtuellen Waggons lassen sich weitere Anwendungen füttern. So reichen wir die Waggondaten zum Beispiel an das neue DB-Cargo-Kundenportal link2rail weiter.“ Die Kunden können dort also einsehen, wo sich ihre Waren gerade befinden oder wo noch leere Waggons zu mieten sind.

Bis Ende 2020 sollen rund 68000 Wagen mit Telematik und Sensorik ausgestattet sein, derzeit sind es rund 50000 Güterwagen sowie rund 2000 Lokomotiven. Die Sensorik an den Güterwagen umfasst Fühler für Erschütterungen, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Beladungszustand, Laufleistung, GPS-Empfänger und RFID-Chips. Batterien versorgen die Sensoren, Solarzellen die Telematikmodule, und die Daten werden über Mobilfunknetze transportiert und gesammelt.

TR 6/2020

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 6/2020 der Technology Review. Das Heft ist ab 14.5.2020 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

DB Systel will es aber nicht bei Verbesserungen im Frachtverkehr belassen – Cord Gatzka arbeitet schon daran, auch Daten aus dem Personen-Regional- und Fernverkehr auszuwerten sowie der Bahnhöfe, Betriebswerke und dem Schienennetz.

Auch die Automobilindustrie vermisst die Welt zum eigenen Nutzen – allerdings profitieren hier auch die Autofahrer davon. Allein von BMW sind 14 Millionen vernetzte Fahrzeuge auf den Straßen der Welt unterwegs, die pro Tag 140 Millionen Kilometer fahren. In Deutschland frequentieren sie dabei 98,5 Prozent des Autobahnnetzes – ebenfalls täglich. Die in die Fahrzeuge integrierten Kameras erfassen dabei 25 Millionen Verkehrszeichen. Kein Wunder, dass Sebastian Zimmermann, Leiter der Datendienste bei BMW Connected Car, sagt: „Wir wissen, welches Schild wo steht. Diese Informationen nutzen wir direkt für die Tempomaten unserer Flotte, aber auch für Verkehrshinweise und Stauvorhersagen.“

Der von den Bayern „Driving Assistant Professional“ genannte Dienst des Hauses sagt seinen Nutzern nicht nur, wo die vernetzten Pkw aktuell verfügbare Parkplätze am Straßenrand erkannt haben, sondern berechnet auch, wo voraussichtlich welche freiwerden – und zu welcher Uhrzeit. Der Dienst registriert etwa typische Szenarien in Wohngebieten – tagsüber sind Plätze frei, spätestens ab 17 Uhr ist es hingegen aussichtslos, dort einen Stellplatz zu finden. Dann verweist der Assistent auf Alternativen. „So reduzieren wir deutlich den Parkplatzsuchverkehr, vermeiden also den Ausstoß von Schadstoffen“, sagt Zimmermann.

Auch aus der Kombination eigentlich trivialer Fahrzeugdaten gewinnen nicht nur BMW-Fahrer Mehrwert. Ein Temperaturfühler, der vor Straßenglätte warnt, ist seit Jahrzehnten in fast allen Pkw Standard, ebenso das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP). Wird das ESP bei Minusgraden an einem vernetzten BMW aktiv, übermittelt das Fahrzeug dies zusammen mit der Position – anonymisiert – ans BMW-Rechenzentrum. Denn aus der Kombination der Ereignisse kann man ziemlich sicher schlussfolgern, dass an dieser Stelle Glatteis die Straße überzieht. Der Assistent warnt dann andere Fahrzeuge in der Umgebung. Dasselbe passiert bei Aquaplaning, Nebel oder Starkregen. Für den Regen etwa wertet BMW die Scheibenwischertätigkeit aus (siehe Grafik). Die Daten laufen dann in der BMW-Zentrale ein, werden in eine Warnung vor Starkregen umgesetzt und zum Beispiel wieder an die Navigationsgeräte der Autos zurückgesandt. Auch wenn ein Auto per eCall-Notruf eine Panne oder einen Unfall signalisiert, warnen entsprechend ausgerüstete BMW die Fahrer vor dem potenziellen Hindernis. BMW ist nur ein Beispiel, andere Autohersteller offerieren ähnliche Dienste. Gemeinsam mit weiteren Partnern arbeiten sie derzeit daran, sicherheitsrelevante Daten auch der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Auch abseits befestigter Straßen hilft IoT. Jan Metzner, bei Amazon Web Services (AWS) auf Produktion und Fertigung spezialisierter Lösungsarchitekt, nennt das weißrussische Start-up OneSoil als Beispiel. Die Firma wertet – unterstützt von AWS – Satellitenbilder landwirtschaftlicher Flächen aus und reichert sie mit Informationen von Landwirten zu Fruchtart (siehe Grafik) oder Bodenbeschaffenheit und -feuchtigkeit an. Mit künstlicher Intelligenz erstellt sie daraus Vorhersagen zur optimalen Pflanzendüngung, -pflege und zum Ertrag. „Der portugiesische Agrarwissenschaftler Francisco Castanheira berät mit den Diensten von OneSoil Olivenbauern in Aserbaidschan, deren Felder er nie von Nahem gesehen hat“, sagt Metzner.

Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, an die Daten der Landwirte zu kommen. Denn selbst wenn dieses es wollen: Die Mobilfunkabdeckung reicht vielerorts nicht aus. Wenn schon ländliche Gebiete in Deutschland schlecht versorgt sind, kann man sich ausmalen, wie es etwa in Australien aussieht. Das Land ist rund 21,5-mal so groß wie die Bundesrepublik, umfasst vier Zeitzonen und ist abseits der wenigen Metropolen extrem dünn besiedelt. Hier ein flächendeckendes Mobilfunknetz aufzubauen wäre schlicht unwirtschaftlich. Das australische Unternehmen Fleet Space hat daher eine Alternative entwickelt. Es sammelt mit eigener, auf LoRaWAN basierender Technik die Signale der Sensoren auf dem Land. LoRaWAN ist ein Funkstandard mit einem relativ niedrigen Frequenzbereich und hat daher eine größere Reichweite. Die Daten gibt Fleet Space dann über eigene Bodenstationen an Satelliten weiter, und von dort gehen sie zu deren Kunden.

(bsc)