"Pre-Crime": Bürgerrechtler warnen vor biometrischer EU-Überwachung

Mit dem Verbund der Datenbanken und einer "Pre-Crime"-Beobachtungsliste wird in der EU jeder potenziell verdächtig, kritisieren Statewatch und die GFF.

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"Automatisierter Verdacht": Bürgerrechtler warnen vor biometrischer EU-Überwachung

(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

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Die EU treibt ihre Pläne voran, bei der Vergabe von Reisedokumenten für den Schengen-Raum mit umstrittenen unerprobten Technologien wie Data-Mining und algorithmischer Entscheidungsfindung zu arbeiten. Damit werde ein "Schleier des Misstrauens" über Urlauber und andere Reisende im Schengen-Raum ausgebreitet, kritisiert die Bürgerrechtsorganisation Statewatch in ihrem am Montag veröffentlichten Bericht.

Demnach müssen sich alle Antragsteller für Schengen-Kurzzeitvisa und künftig einzuholende "Reisegenehmigungen" online registrieren und werden nach US-Vorbild mit Polizeidatenbanken abgeglichen. Persönliche Daten würden mithilfe automatischer erstellter Profile überprüft und mit einer neuen "Pre-Crime-Watchlist" von Europol verglichen, heißt es in dem Bericht von Statewatch weiter.

Auch von Kindern ab sechs Jahren sollen künftig Fingerabdrücke genommen und Lichtbilder gespeichert werden. "Vor der Ankunft der Besucher im Schengen-Raum, während ihres Aufenthalts und nach ihrer Abreise werden ihre Informationen in riesigen zentralisierten Datenbanken gespeichert, auf die Tausende von Beamten Zugriff haben", erklärt der Autor des Berichtes, Chris Jones.

Die persönlichen Daten der Reisenden bildeten auch das Rohmaterial für die vorgesehene Anlage von Profilen, heißt es in der Studie. Dabei gehe es darum, potenziell "risikobehaftete", den Behörden bislang unbekannte Personen etwa durch den Einsatz von "Risikoindikatoren" wie Altersgruppe, Nationalität, Land und Stadt des Wohnsitzes, Reiseziel, Reisezweck und Beruf aufzuspüren.

Das neue Verfahren soll bis Ende 2022 als Teil des EU-Plans zur "Interoperabilität" sämtlicher Datenbanken in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung eingeführt werden. Ziel ist es, unter anderem das Schengen-Informationssystem (SIS), das Visa-Register (VIS) und die Eurodac-Datei mit Fingerabdrücken von Asylbewerbern zu verknüpfen. Dazu kommen das neue Ein- und Ausreisesystem zur biometrischen Grenzkontrolle sowie das Europäische Reisegenehmigungssystem (ETIAS).

Ermöglicht werden soll so ein Abgleich der vorhandenen Daten "mit einem einzigen Klick". Vorgesehen ist auch ein "Detektor für Mehrfachidentitäten". Prinzipiell entsteht so eine Biometrie-Superdatenbank. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat bereits angekündigt, die Umsetzung des Vorhabens während der laufenden EU-Ratspräsidentschaft vorantreiben zu wollen.

Die neuen Systeme werden laut dem Papier Millionen von Datensätzen aus einer Vielzahl verschiedener Informationssysteme kombinieren, "von denen bereits bekannt ist, dass sie mit Daten schlechter Qualität durchsetzt sind". Dies erhöhe das Fehlerrisiko massiv. Kein Geheimnis sei zudem, dass die Behörden schon jetzt Schwierigkeiten hätten, etwa mit von ihnen gesammelten biometrischen Merkmalen sorgfältig umzugehen.

Das geplante Profiling "birgt besondere Risiken, da die in die Systeme eingespeisten Daten verzerrt sein können", gibt Jones zu bedenken. Damit wachse die Wahrscheinlichkeit weiterer Diskriminierung bei der Entscheidungsfindung. So könnten etwa Personen eines bestimmten Alters und Geschlechts aus einer speziellen Region als potenzielle "Gefährder" erkannt und "ungerechtfertigten Befragungen und Durchsuchungen an den Grenzen ausgesetzt" werden. Oppositionelle und Dissidenten ließen sich so einfacher gezielt verfolgen, kritisiert der Statewatch-Projektleiter.

Die EU-Mitgliedsstaaten glichen Fluggastdaten bereits gegen bestehende Datenbanken wie das Europol-Informationssystem ab, erläuterte Christian Thönnes von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bei der Präsentation des Statewatch-Berichts am Montag. Dabei nutzten sie auch vorbestimmte, nicht-öffentliche Kriterien und spezielle Algorithmen. Die Fehlerrate betrage dabei in Deutschland 99,7 Prozent. Die Bürgerrechtsorganisation habe daher gegen die Praxis geklagt. (vbr)