Software-Entwicklung bei VW: Weg von der Komplexität

Volkswagen plant eine Software für alle zwölf Marken des Konzerns. Björn Goerke, Software-Stratege der Firma, erklärt im Interview, was "VW.OS" leisten soll.

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Software-Entwicklung bei VW

(Bild: Simon Steinberger via Pixabay)

Lesezeit: 6 Min.
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Zum 1. Juli hat Volkswagen seine Software-Entwicklung zentralisiert: Die neu gegründete "Car.Software-Organisation" (CSO) arbeitet für alle zwölf Marken des Konzerns und darf bis 2025 über 7 Milliarden Euro ausgeben. c’t sprach mit Björn Goerke, Chief Technology Officer der CTO, über die Vorteile einheitlicher Software und das Zusammenspiel mit Smartphone-Ökosystemen.

c’t: Herr Goerke, Volkswagens neues Elektro-Modell ID.3 startet mit einem Manko: Die versprochene Remote-Update-Funktion fehlt vorerst, das erste Update gibt es nur in der Werkstatt. Was lief schief in der Entwicklung?

Mit VW.OS behalte Volkswagen die "Hoheit über die elementaren Architekturfragen", meint Björn Goerke. Der Informatiker arbeitet seit Januar für Volkswagen, zuvor war er Chief Technology Officer bei SAP.

(Bild: Volkswagen)

Björn Goerke: Ich sehe das etwas anders. Der ID.3 ist das erste updatefähige E-Auto von Volkswagen, es wird digital immer frisch bleiben. Das ist ein wichtiger Schritt für uns, und natürlich hat der Kraft gekostet. Hinzu kamen dann noch extreme Herausforderungen durch Corona. Aber da sind wir durch. Der ID.3 ist ein klasse Auto, das nicht nur eine völlig neue Server-Architektur bietet, sondern auch bilanziell klimaneutral produziert wird.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Software-Problemen?

Früher war Software ein Teil eines Fahrzeugprojekts und für die individuelle Hardware optimiert. Jede Marke hatte also unterschiedliche Ansätze. Konzernweit hat das schließlich zu einer enormen Komplexität geführt. Davon gehen wir weg. Seit Anfang Juli bündeln wir die Software-Fähigkeiten des Volkswagen-Konzerns in der CSO. Wir entwickeln dort eine leistungsstarke Software-Plattform für alle Marken und Märkte des Konzerns. Das ist eine komplett neue Philosophie. Unser VW.OS wird ein eigenständiges Produkt für alle Modelle im Volkswagen-Konzern, mit eigenem Innovationszyklus und regelmäßigen Updates, ähnlich wie Android oder iOS bei Smartphones.

Heißt das, dass Sie ein Betriebssystem von Grund auf neu entwickeln?

VW.OS ist nicht vergleichbar mit einem singulären Betriebssystem wie Linux oder QNX. Dafür ist der Leistungsumfang eines Fahrzeugbetriebssystems zu groß. Vielmehr muss unser VW.OS als Verbund, als Architektur verstanden werden. Denn wir werden weiterhin auch auf etablierte Betriebssysteme zurückgreifen, beispielsweise Linux. Mit VW.OS definieren wir aber die Standards dafür, wie solche Software-Komponenten zusammenspielen. Damit behalten wir die Hoheit über die elementaren Architekturfragen. Und wir wollen bis 2025 den Eigenanteil an Software im Auto von aktuell 10 auf 60 Prozent steigern.

Was wollen Sie denn konkret selbst entwickeln?

Wir werden uns auf die Dinge konzentrieren, die sicherheitsrelevant sind und den größten Einfluss auf das Kundenerlebnis haben. Das sind unter anderem Fahrerassistenzsysteme, digitale Sprachassistenten und Mehrwertdienste fürs Parken oder Flottenmanagement.

Sie wollen also mit Sprachassistenten wie Amazons Alexa oder Apples Siri mithalten? Ist der Zug nicht längst abgefahren?

Es wird auch in Zukunft Sprachassistenten geben, die speziell fürs Auto optimiert sind. Sie nutzen Kontextinformationen und sind an bestimmte Fahrzeugfunktionen gekoppelt, zum Beispiel an die Klimaanlage.

c’t: Wie ist es bei den Apps? Wird es im Auto nur einen Volkswagen-App-Store geben oder können Kunden auch auf die Universen von Apple und Google zugreifen?

Björn Goerke: Für uns zählt, was unsere Kunden wollen und benötigen. Und das haben sie häufig zuerst auf ihrem Smartphone. Daher sind Schnittstellen zu den Ökosystemen der großen IT-Konzerne grundsätzlich sinnvoll. Es wird ein Miteinander sein, kein Gegeneinander.

c’t: Sieht die Realität nicht eher so aus, dass Sie damit Apple und Google das Feld überlassen? Es will doch kaum jemand die Auto-Software nutzen, wenn das Handy erst einmal gekoppelt ist.

Björn Goerke: Wir überlassen das Feld nicht den anderen. Die Menschen nutzen ihr Smartphone in fast jeder Situation im Alltag, und nehmen es natürlich auch mit ins Auto. Das wird kein Autokonzern dieser Welt verhindern. Es gilt, die Balance zu finden: Wann ist eine Integration etablierter Apps von Dritten sinnvoll? Und wo bieten unsere eigenen Dienste dem Kunden den größten Mehrwert?

Fehlende Funktionen bremsen Volkswagens neuen Vorzeige-Stromer ID.3. Künftig soll laut Goerke einheitliche Soft- und Hardware die Komplexität reduzieren.

(Bild: Volkswagen)

c’t: Wären Ihre Erfolgschancen nicht größer, wenn Sie die Software zusammen mit anderen europäischen Autoherstellern entwickeln würden?

Björn Goerke: Wenn sich Optionen auf unserem Weg ergeben, prüfen wir diese. Aber grundsätzlich erhöhen Partnerschaften gerade beim Thema Software die Komplexität und kosten Zeit. Deswegen konzentrieren wir uns auf uns selbst.

c’t: Wie sorgen Sie dafür, dass VW.OS bei allen Marken funktioniert, von Skoda bis Bentley?

Björn Goerke: Wir vereinfachen und vereinheitlichen die Elektronik-Architektur. Bislang haben unsere Autos mehr als 70 Steuergeräte von unterschiedlichen Zulieferern. Künftig verlagern wir Funktionen in wenige, aber sehr leistungsstarke Zentralrechner im Auto und in die Cloud. Der Grundgedanke der Zentralrechner ist für uns zukunftsweisend. Er macht unsere Elektronik-Architektur schlanker, flexibler, schneller.

c’t: Wie viele Steuergeräte konnten Sie beim ID.3 denn schon einsparen?

Björn Goerke: Mit dem ID.3 gehen wir den ersten Schritt in diese Richtung. Die zentralen Hochleistungsrechner fassen einige Fahrerassistenzsysteme und die Komfortfunktionen zusammen, wie etwa die Sitzeinstellung oder das Licht, sowie das Infotainment und die Anzeigen. Fahrfunktionen wie Antrieb oder Bremse bleiben aber weiterhin auf ihren separaten Steuergeräten.

c’t: Steckt im Polo künftig wirklich dieselbe Hardware wie im Porsche? Wäre das kostenmäßig überhaupt sinnvoll?

Björn Goerke: Wir werden sicher im Premiumsegment mit mehreren und größeren Displays im Cockpit antreten als bei Volumenmodellen – ebenso bei der Anzahl der Sensoren. Die zugrunde liegende Logik der Zentralrechner bleibt aber für alle Modellreihen die gleiche.

c’t: Das Konzept mit Zentralrechnern und einheitlicher Software kennt man von Tesla. Inwiefern ist das für Sie ein Vorbild?

Björn Goerke: Es stimmt, dass Tesla als einer der Ersten einen Software-getriebenen Ansatz verfolgt hat. Aber wir können insbesondere bei der Software unsere Größenvorteile im Konzern ausspielen. Mit etwa 11 Millionen Neufahrzeugen im Jahr erreichen wir eine massive Skalierung. Und das ist für eine Software-Plattform ein entscheidendes Kriterium.

Dieser Artikel stammt aus c't 20/2020.

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(Bild: VW)

(cwo)