Stromverteilnetz 2.0: Netze kein "Showstopper" für Energiewende und E-Mobilität

Bei E-Autos trifft die Reichweitenangst der Fahrer auf die Sorge der Netzbetreiber vor Überlastung. Gateways und zeitvariable Strompreise gelten als Lösung.

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Strommast

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
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Michael Lehmann, Leiter Prozess- und Systemmanagement bei der sachsen-anhaltinischen Stromgesellschaft Mitnetz, erachtet die umstrittenen intelligenten Stromzähler als unerlässlich für die Energie- und Verkehrswende. "Wir müssen Smart Meter bei der E-Mobilität in Angriff nehmen, um eine sichere Kommunikationsschnittstelle zwischen Kunden und Netzbetreiber aufzubauen", erklärte er am bei einem Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion zum Stromverteilnetz 2.0.

Nötig sei ein erweiterter Rechtsrahmen, um E-Fahrzeuge "intelligent über Smart Meter" in die vorhandenen Verteilnetzstrukturen einbinden zu können. Nötig sei dafür "ein Gateway" wie eine Art Fritzbox, in der schon alles fest verdrahtet sei. Es gelte aufzupassen, die Schnittstelle "nicht so sicher machen, dass sie keiner mehr bedienen kann". Die Kosten für ein solches Gerät dürften 80 bis 100 Euro nicht übersteigen.

Gegen Smart Meter gibt es Datenschutzbedenken, Kritiker sprechen von "Spionagezählern", da darüber das Nutzungsverhalten von Verbrauchern nachvollziehbar sei. Die vom Bundestag 2016 eingeläutete Einführung der Technik verlaufe "schleppend", räumte Fabian Joas, Leiter Politikbeziehungen bei der Volkswagen-E-Mobilitätstochter Elli, ein. Die Initiative sei "überfrachtet mit wahnsinnig viel Anforderungen", die letztlich wenig bringen könnten: "Wir bauen vorne Fort Knox aus, hinten gibt es einen E-Herd, der aus China kommt und nicht so hohe Sicherheitsstandards erfüllt." Damit stehe die Tür für Hacker dann doch weit offen.

In der Debatte über E-Mobile und das darauf ausgerichtete Stromnetz trifft hierzulande die Reichweitenangst der Fahrer auf die Sorge der Verteilnetzbetreiber vor einem Blackout durch eine deutlich gestiegene Nachfrage in Stoßzeiten. Im Hintergrund steht der Gedanke, "die schwankende Erzeugung aus erneuerbaren Energien intelligent mit dem Verbrauch zusammenzubringen", wie es der grüne Fraktionsvize Oliver Krischer formulierte: Das Verteilnetz sei der Ort, wo die Energiewende und der Klimaschutz am deutlichsten mit der Digitalisierung zusammenkämen.

Als eine Herausforderung dabei gilt, dass ungekannte Lastspitzen auftreten könnten, wenn künftig Verbraucher abends ihre neuen E-Autos zuhause laden wollen. In "krassen Ausnahmesituationen" rechneten die Betreiber so damit, dass ihre Leitungen überlastet werden könnten, erläuterte Lehmann. Die Envia-Tochter arbeite daher an neuen Konzepten mit Anreizen für die Nutzer. Es gehe etwa um das "private bidirektionales Laden", bei dem das Auto mithilfe der geforderten Schnittstellen auch als lokaler Batteriespeicher dienen und ins Netz eingebaut werden könne.

Für die Info des Kunden über eine aktuelle "starke Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie" habe Mitnetz eine App entwickelt, die den aktuellen CO2-Fußabdruck des bezogenen Stroms anzeige, berichtete Lehmann von einem laufenden Pilotprojekt. Der Verbraucher könne so über diese Ampel flexibel laden, "wenn grüner Strom im Netz ist". Künftig seien auch variable Netzentgelte oder die Weitergabe von Prämien aus dem Großhandel denkbar. Zuvor hatte sich der Verbraucherschutzverband vzbv zusammen mit der Automobilindustrie für solche angepassten Strompreise ausgesprochen.

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Der Verbraucher werde sich für ein solches Modell ein kleines Energiemanagementsystem anschaffen müssen, führte Lehmann aus. Dieses "Mini-Gerät" sorge dann "mit unseren Infos aus dem Netz dafür", die Lasten in einspeisestarke Zeiten zu verschieben. So lasse sich auch in der "Happy Hour" anhand einer roten Linie und der Anzeige verfügbarer Kapazitäten alles gut koordinieren und jeder komme zum Zuge. Unterm Strich könne auf den Durchschnittsfahrer so im Jahr eine Ersparnis von rund 150 Euro rauskommen. Insgesamt würden über die zusätzlichen Abnehmer die Preise für alle perspektivisch sinken: "Alles hat seine Gerechtigkeit."

Die benötigte Technologie für solche Ladeansätze "ist noch nicht an allen Stellen da", betonte Joas. Nur innovative Anbieter unter den rund 900 Verteilnetzbetreibern hierzulande seien bereits vorgeprescht. Trotzdem gebe es keinen Zeitdruck, ein "unausgegorenes System" als Zwischenlösung zu nehmen. Momentan reich es aus, an Straßenzügen, wo die Nachfrage besonders groß sein könnte, den "Ortsnetztrafo" zu ersetzen. Bei vielen Kunden führe Paragraf 14a Energiewirtschaftsgesetz aber zu Rückfragen: Dieser gebe Netzbetreibern das Recht, einen Ladevorgang bis zu zwei Stunden pro Tag zu unterbrechen.

Heute werde der sogar noch bestraft für bidirektionales Laden, gab Arndt Börkey vom Bundesverband neue Energiewirtschaft (BNE) zu bedenken. Denn erst mit großen Stückzahlen könne man die dahinterstehende Technik auch günstig machen. Erforderlich sei daher eine klare Linie, sodass Kunden "mit marktdienlichem Verhalten" etwas Geld sparen könnten. Teils gebe es bei diesen und bei Autobauern aber auch noch die Angst, "dass die Batterien darunter leiden".

Zumindest für die Verteilnetze selbst gab Fanny Tausendteufel, Projektmanagerin Industriepolitik bei Agora Verkehrswende, Entwarnung: Diese "werden nicht der Flaschenhals für ambitionierten Klimaschutz im Verkehr sein", gehe aus einer Studie der Denkfabrik hervor. Gesteuertes Laden reduziere die Belastung um bis zu 50 Prozent. Die jährlichen Investitionsbedarfe für die Betreiber bewegten sich ferner "auf ähnlichem Niveau wie bisher". Ihr Resümee: "Die Netzintegration ist schaffbar, sie kostet nicht viel und wird nicht der Show-Stopper für die E-Mobilität sein." Fürs Engpassmanagement wäre es ideal, präventive Ansätze wie variable Netzentgelte mit "kurativen" in Form kurzfristiger Ladeabschaltungen zusammenzubringen.

(jk)