"Feigenblatt": Kritik am neuen Open-Source-Kurs der EU-Kommission

Befürworter freier Software sind enttäuscht von der überarbeiteten Open-Source-Strategie der EU-Kommission, da es meist bei Lippenbekenntnissen bleibe.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 50 Kommentare lesen

(Bild: EFKS/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) hat die EU-Kommission aufgefordert, die prinzipiell ehrgeizigen Ziele ihrer neuen Open-Source-Strategie in den kommenden Wochen und Monaten mit greifbaren Umsetzungsmaßnahmen zu unterfüttern. Die Vorteile freier Software würden in dem Papier zwar immer wieder betont, es fehle aber ein klares Bekenntnis zu deren Einsatz. Konkrete Ziele würden fast keine genannt.

Der bisherige Open-Source-Fahrplan der Kommission war 2017 abgelaufen. Die FSFE hatte sich daher nach der langen Pause einen "großen Schritt" erhofft, der die aktuellen Entwicklungen rund um die Debatten über digitale Souveränität und den Stand der Technik in der Verwaltung widerspiegeln würde. Mit ihrem 15-seitigen Dokument habe die Brüsseler Regierungsinstitution aber nur "ein Feigenblatt" vorgelegt. Der gesamte Förderansatz drohe so zu scheitern.

Abgesehen von dem Vorhaben, ein programmatisches Open-Source-Büro einzurichten, das "echte politische und organisatorische Unterstützung genießt und alle Generaldirektionen einbindet", zeichnet sich laut der FSFE keine bessere Herangehensweise der Kommission ab. Die Rede sei allenfalls noch davon, quelloffene Programme verstärkt intern zu verwenden. Hier sei im Gegensatz zu geförderten externen Projekten aber nicht einmal geplant, den Code unter einer Lizenz für freie Software zu veröffentlichen.

Der Titel "Think Open" weise zwar auf einen Mentalitätswandel hin, schreibt die gemeinnützige Organisation. Die Strategie wiederhole aber hauptsächlich frühere Verpflichtungen und Aktivitäten, während man nachhaltige und überprüfbare Ansätze vergeblich suche. Dass die Kommission weiter stark etwa bei Betriebssystemen, Büropaketen und E-Mail-Programmen von großen Herstellern wie Microsoft abhänge, thematisiere sie gar nicht. Es gebe also offenbar auch keinen Plan, sich darauf zu lösen.

Die am Mittwoch veröffentlichte Open-Source-Agenda soll bis 2023 gelten. Die Kommission will demnach nicht nur selbst verstärkt freie Software einsetzen. Sie hat sich auch vorgenommen, zusammen mit den Mitgliedstaaten, Unternehmen und der breiten Öffentlichkeit "neue, innovative digitale Lösungen zu entwickeln, die über Grenzen hinweg funktionieren und der technologischen Souveränität dienen".

Man sei bereit, auch innerhalb der Entwicklergemeinschaft eine aktivere Rolle zu spielen, Open-Source-Innovationslabore einzurichten und den Verwaltungsaufwand für die Herausgabe freier Software zu beseitigen, versicherte Johannes Hahn, Kommissar für Haushalt und Verwaltung. "Open Source ist überall", heißt es in dem Papier. "Wir werden immer mehr auf quelloffene Software zurückgreifen – wo immer dies praktikabel ist".

Selbst outet sich die Kommission als "begeisterte Nutzerin und Bearbeiterin von freier und quelloffener Software". Dieser komme eine wichtige Rolle zu, um "den Übergang zu einem inklusiven, besseren digitalen Umfeld zu vollziehen". Im Einklang mit bewährten Verfahren würden auch "automatisierte kontinuierliche Sicherheitstests durchgeführt, damit die Open-Source-Komponenten, die wir in unseren Anwendungen verwenden, frei von Schwachstellen sind". Ebenso werde man eigenen Code vor dem Teilen "gründlich prüfen".

Die FSFE hält den Text insgesamt für ein Lippenbekenntnis, das durch vage Formulierungen und Schlupflöcher zusätzlich eingeschränkt werde. Es fehlten konkrete Lösungen für beschriebene Herausforderungen. So hätte die Kommission etwa freie Software gemäß der Kampagne "Public Money, Public Code" im Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa und an die im Anschluss von der EU finanzierten Programme zum Standard machen sollen.

Sivan Pätsch vom OpenForum Europe lobte dagegen gegenüber heise online, dass die Exekutivinstanz bei Open Source inzwischen nicht mehr nur an Quelltext denke, sondern auch an offene Strukturen und Kultur. Die Strategie entfalte zudem eine rechtliche Wirkung, "auch wenn sich die Kommission jetzt nicht gerade zu sehr vielen Dingen verpflichtet" und in diesem Bereich noch keine Industriepolitik betreibe. Laut der Denkfabrik legt sie aber einen klaren Fokus auf Offenheit als Innovationstreiber und digitale Autonomie.

(olb)