Strafanzeige wegen Website-Sperrungen in Nordrhein-Westfalen

Rechtsexperten halten den Protest eines Zensurgegners für gut gemeint, aber wenig erfolgsversprechend.

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Der Stuttgarter Zensurgegner Alvar Freude will mit staatlicher Hilfe gegen die Sperrung von vier amerikanischen Websites durch mehrere Internet-Provider und Bildungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen vorgehen. Der Absolvent der Merz-Akademie, der sich in seiner Abschlussarbeit mit der Kontrolle von Netzinhalten beschäftigte, hat dazu bei neun Staatsanwaltschaften zwischen Rhein und Ruhr eine 38 Seiten lange Strafanzeige gestellt, die sich gegen Mitarbeiter der Bezirksregierung Düsseldorf, verschiedene Internet-Provider, Hochschulen und Filtertechnik-Anbieter richtet. Ihnen wirft der Netzaktivist unter anderem Datenunterdrückung, Verletzung des Fernmelde- und Postgeheimnisses sowie die Planung von Datenmanipulationen vor.

Hintergrund ist ein umstrittener Alleingang des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow, der deutsche Surfer vor rechtsextremistischen und jugendgefährdenden Inhalten bewahren will. Den Anfang seiner Schwarzen Liste bilden drei einschlägig bekannte, in den USA gehostete Sites von Neonazis sowie das Satiremagazin Rotten.com. Mehrfach hatte der auch als oberster Medienwächter in Nordrhein-Westfalen fungierende Politiker, gegen dessen Bundestagskandidatur die Mühlheimer SPD jüngst votierte, Provider seines Landes zur Sperrung der Webadressen aufgefordert. Da das ehemalige Mitglied des Virtuellen Ortsvereins seiner Partei dabei Bußgelder "bis zu 1 Million Mark" ins Spiel brachte, knickten mehrere privatwirtschaftliche und universitäre Zugangsanbieter ein und implementierten eine technisch leicht zu umgehende "DNS-Waschmaschine". Dadurch landen Anfragen zu den beanstandeten Adressen im digitalen Nirwana oder auf Informationsseiten der Provider.

Für Freude besteht nun der Verdacht, "dass Jürgen Büssow und seine Kollegen Internetprovider unrechtmäßig dazu nötigen, den Datenverkehr im Internet massiv zu beschränken." Mit den Filtermaßnahmen werde die Informationsfreiheit der Bürger in einer Weise eingeschränkt, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei.

Juristen sehen den Online-Aktivisten allerdings auf dem Holzweg. "Keine Aussicht auf Erfolg" will der Münchner Strafrechtler Ulrich Sieber der Anzeige einräumen. "Gut gemeint, aber haltlos", konstatiert auch der auf Netzfragen spezialisierte Düsseldorfer Rechtsanwalt Tobias Strömer, der das Ansinnen der Düsseldorfer Bezirksregierung seit langem kritisiert. Angesichts der aus der Feder eines Laien stammenden Papiermenge würden die angeschriebenen Staatsanwaltschaften die Vorlage vermutlich nicht einmal prüfen. "In sechs Monaten wird der Anzeigensteller ein Schreiben erhalten, dass sich die Verdachtsmomente nicht bestätigt hätten und ein Verfahren daher nicht eingeleitet worden sei."

Im Gespräch mit heise online ging Strömer die einzelnen Verdachtsmomente trotzdem durch. Eine rechtswidrige Datenunterdrückung nach § 303a des Strafgesetzbuchs (StGB) kommt demnach nicht in Frage, weil bei einer Zugriffsverweigerung nirgends Informationen verändert werden. Da keine Hardware zu Bruch ginge, könne man auch nicht mit dem benachbarten zweiten "Computersabotage-Paragraphen" 303b argumentieren. Eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses kann der Anwalt ebenfalls nicht ausmachen. Sie käme höchstens dann in Betracht, wenn ein Provider etwa die IP-Adressen von abgeblockten Surfern an die Bezirksregierung weiterleite. Der Vorwurf der Nötigung gegen Büssow scheidet laut Strömer aus, da dem Politiker dazu "Verwerflichkeit" nachgewiesen werden müsste.

Von den Sperrungen betroffenen Internet-Nutzern, die sich in ihrer Informationsfreiheit eingeschränkt fühlen, mag der Netzexperte nur den zivilrechtlichen Weg empfehlen. "Gewisse Aussicht auf Erfolg" könnte eine wettbewerbsrechtliche Klage haben, die den Providern die Nichteinhaltung von Werbeaussagen vorwirft. Ein Kunde, der 100 Prozent Internet bezahle, dürfe nicht mit 99,9 Prozent abgespeist werden. Mehr als ein symbolischer Preisnachlass sei dabei aber vermutlich nicht zu erreichen, falls dem Anbieter nicht zugleich Betrug oder Täuschung über nicht erbrachte Leistungen nachgewiesen werden könnten. Den Zugangsanbietern selbst legt Strömer ans Herz, zunächst die eigentlichen Sperranordnungen von der Bezirksregierung abzuwarten und gegen diese mit verwaltungsrechtlichen Verfahren vorzugehen. Um sich zur Wehr zu setzen reiche es zunächst aus, etwa die Zuständigkeit der rheinischen Medienaufsicht in Abrede zu stellen. (Stefan Krempl) / (jk)