Darknet: Vor allem Tor-Nutzer in "freien" Ländern suchen illegale Inhalte

In westlichen Staaten nutzen laut einer Studie deutlich mehr Anwender das Anonymisierungsnetzwerk Tor für rechtswidrige Aktivitäten als in autoritären Regimen.

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(Bild: torproject.org)

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Eine neue Analyse von Sozialwissenschaftlern und IT-Experten befeuert die Debatte über das Darknet und die davon ausgehenden gesellschaftlichen Folgen. Die "gute" und die "schlechte" Nutzung des Anonymisierungsnetzwerk Tor (The Onion Router) ist demnach weltweit ungleichmäßig verteilt und variiert je nach den politischen Bedingungen eines Landes systematisch.

Insgesamt verbinden sich laut der am Montag im Fachjournal PNAS veröffentlichten Analyse im Landesdurchschnitt pro Tag 6,7 Prozent der Tor-Nutzer mit versteckten "Onion"-Diensten im Darknet, die häufig für illegale Zwecke genutzt werden. Dabei würden Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch verbreitet, Drogen verkauft oder erworben oder Geschäfte mit Malware gemacht.

Der Anteil der illegalen Nutzung dieser "Hidden Services" betrage in "freien" Ländern 7,8 Prozent gegenüber 6,7 Prozent in Ländern mit "teilweise freien" und 4,8 Prozent mit autoritären Regimen.

Die Untersuchung durchgeführt haben der Politikwissenschaftler Eric Jardine und der Soziologe Andrew Lindner von den US-Universitäten Virginia Tech und Skidmore College sowie Gareth Owenson von Cyber Espion, einem Ableger der britischen Universität Portsmouth. Sie haben dazu ein Prozent der Eingangsknoten im Tor-Netzwerk zwischen Ende 2018 und Mitte August 2019 betrieben und dabei Daten erhoben. Dabei haben sie nach eigenen Angaben eine Zufallsstichprobe aller Nutzer des Tor-Relais beobachtet.

Durch die Analyse eindeutiger Signaturen im Datenverkehr wie das Nachschlagen in speziellen Verzeichnissen unterschieden die Forscher, ob Clients Tor nutzten, um gängige Angebote im offenen Netz ("Clear Web") oder einen versteckten Dienst zu besuchen. Daraus gehe noch nicht der genaue Inhalt hervor, den ein Anwender nachfrage. Zusätzlich verorteten die Wissenschaftler die Nutzer anhand der IP-Adressen, aggregierten diese Daten je Land und Tag sowie nach "Hidden Services"-Anwendern. Diese Statistiken kombinierten die Forscher mit den Einschätzungen der zivilgesellschaftlichen US-Organisation Freedom House zu weltweiten politischen Freiheiten.

Für ausreichend belegt halten die Forscher die These, dass der überwiegende Teil der versteckten Tor-Dienste mit illegalen Angeboten in Verbindung steht. Diese Befunde seien robust auch unter "Einbeziehung einer Vielzahl statistischer Kontrollverfahren". Sie räumen aber ein, dass dieses angenommene Muster nicht allgemeingültig sei. So betrieben etwa Facebook und die New York Times Angebote über Tor, während auch im offenen Netz vielfach extremistische Inhalte und anderes illegales Material zu finden seien.

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Einige empirische Untersuchungen haben der Studie zufolge aber auch das schnelle Wachstum von "Kryptomärkten" für Drogen im Darknet dokumentiert. Der Administrator des 2013 ausgehobenen Silk-Road-Marktes, Ross Ulbricht, habe zwar einst einen politischen Buchclub dort gehostet. Diese politischen Dimensionen hätten jedoch im Laufe der Zeit deutlich abgenommen.

Die Ergebnisse sprechen laut den Verfassern dafür, dass "Technik zur Gewährleistung der Anonymität wie Tor eine klare Herausforderung für die Politik darstellen und einen klaren politischen Kontext und geografische Komponenten beinhalten". Diese Herausforderung werde in der Literatur als "Dark Web Dilemma" bezeichnet.

Viele der rund 6250 freiwillig betriebenen Tor-Knoten seien in demokratischen Ländern angesiedelt. Das Kernprojekt selbst trägt ein Verein in den Vereinigten Staaten vor allem mit Ressourcen der US-Regierung. Insgesamt laufe ein Großteil der Infrastruktur in "freien" Ländern. Dies bedeute aber auch, dass dort der ermittelte "Schaden" für die Gesellschaft verhältnismäßig groß sei. Demgegenüber schlage der von Tor ausgehende Nutzen gerade in stark repressiven Regimen durch. Generell gebe es viele legitime Zwecke für den Einsatz des Anonymisierungsnetzwerks. Es wäre daher – abgesehen von technischen Schwierigkeiten – keine gute Lösung, einfach Tor-Server zu schließen.

Die Geschäftsführerin des Tor-Projekts, Isabela Bagueros, hat die Grundannahme der Forscher gegenüber dem Online-Magazin Ars Technica als falsch zurückgewiesen. Viele beliebte Webseiten, Werkzeuge und Dienste inklusive der Deutschen Welle bauten auf verborgene Dienste, um ihren Nutzern mehr Datenschutz zu bieten. Sie ermöglichten es ihnen damit zudem, Zensur zu umgehen. Dies gelte etwa auch für Whistleblowing-Plattformen, Filesharing-Instrumente, Messenger- und E-Mail-Dienste und freie Softwareprojekte.

"Den Verkehr zu diesen weitverbreiteten Websites und Diensten als 'illegal' abzuschreiben, ist eine Verallgemeinerung", die viele Menschen und Organisationen beim Schutz ihrer Grundrechte "verteufelt", unterstreicht Bagueros. In einer Welt des zunehmenden Überwachungskapitalismus und der Internetzensur sei die Privatsphäre im Internet ein hohes Gut. Die in dem Papier beschriebene Methode reiche zudem nicht aus, um die Arbeit vollumfänglich einschätzen zu können.

(anw)