Missing Link: FAZ auf Facebook ist wie Müsli bei McDonald's

Kein Freibier, kein Atomkrieg, Trump weg. Es blieben ein paar Fragen offen zu Sozialen und "klassischen" Medien. Aus Antworten ergeben sich neue Fragen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 178 Kommentare lesen

Gesehen im April 2011 in Barcelona.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 24 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Weiße Hause ist enttrumpt, der Exorzismus hat begonnen und wird noch länger dauern, aber wenigstens hat der Irre mit den gelben Haaren seinen Atomkoffer unbenutzt abgegeben. Die Überschrift des Missing Link vor zwei Wochen hat sich also endgültig als Unfug erwiesen. Und nun klingt schon wieder hier eine Überschrift nach Clickbait, so wie vor zwei Wochen, als es hieß: "Freibier für alle – Trump löst mit Linux Weltkrieg aus". Wat schall dat? – wie Menschen mit nördlichem Zungenschlag fragen würden.

Die Überschrift sollte nicht nur Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mir die Gelegenheit geben, zum ersten Mal während meiner Tätigkeit für heise online "Freibier" in eine Überschrift zu schreiben; sie war auch als Test gedacht, ob sich Google und die Leser überhaupt locken lassen; zu den Ergebnissen komme ich später. Die heutige Überschrift birgt im Gegensatz zu jener vor zwei Wochen aber nicht nur Unfug, sondern eine These. Zu der komme ich auch später.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Zunächst soll mir wie voriges Mal ein exemplarischer Leserbeitrag im Forum dazu dienen, weitere Fragen zu beleuchten, die vor zwei Wochen aufgeworfen wurden:

"Ich habe letztens gelesen, dass, wie immer bei der ARD, die neuen Volontäre in einer geheimen Wahl eine Art Bundestagswahl simulieren sollten. Sie sollten für die Partei stimmen, die sie eben jetzt bei einer BTW wählen würden. 92% stimmten in Summe für Die Linken, Die Grünen und die SPD. 92%. Selbst ich habe es nicht glauben wollen, aber es war so krass."

Der Leser spielt offenbar auf ein "Datenprojekt" von Volontär:innen an, das voriges Jahr in der Verbandszeitschrift des DJV Journalist veröffentlicht wurde. Dafür wurden im April 2020 alle Volontär:innen der ARD und des Deutschlandradios kontaktiert. Von 150 Angeschriebenen nahmen 86 teil. Aus einer der Fragen des Datenprojekts ergab sich, dass 57,1 Prozent Bündnis 90/Die Grünen wählen würden, 23,4 Prozent Die Linke, 11,7 Prozent SPD. In der Tat ergibt sich daraus ein Anteil von 92,2 Prozent für eine politische Ausrichtung, die grob dem linken Spektrum zugeordnet wird, während sich aus Umfragen in der Gesamtbevölkerung unter Menschen im Alter von 18 bis 39 Jahren ein solcher Anteil von mehr oder weniger 50 Prozent ergibt. Allerdings hatten in dem "Datenprojekt" 77 der Voläntär:innen geantwortet, weshalb keineswegs behauptet werden kann, dass so gut wie "alle" Nachwuchsredakteur:innen "links" seien – abgesehen davon, dass es nicht wenige Menschen gibt, die die Grünen heute weiter rechts verorten würden als vor 20 Jahren.

Aufgabe eines Lesers in einem Forum ist es natürlich nicht, die Zahlen genauer zu beleuchten, das obliegt in der Berichterstattung den Journalisten, die sich nach dem Pressekodex des Presserats richten. Laut dem sollten sie bei Umfragen "die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung" mitteilen. "Zugleich muss mitgeteilt werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind." Umfragen sind nämlich kein Beweis, sondern höchstens ein Indiz für Meinungen und andere Tendenzen in einer Grundgesamtheit, und zwar wenn sie bestimmte Anforderungen an statistische Verfahren erfüllen. Beispielsweise an Landtags- und Bundestagswahlen zeigen sich regelmäßig die Abweichungen der Umfragen und Prognosen vom eigentlichen Ergebnis, und die können wie zum Beispiel zur Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten erheblich sein.

Die Umstände des "Datenprojekts" hat vor diesem Hintergrund das Medien-Magazin Übermedien beleuchtet und auch, welches Echo es in der Öffentlichkeit erzeugte; bis hin zur AfD, die sich zu der Behauptung versteigt, der von ihnen so benannte "Staatsfunk" sei extrem linkslastig, und dabei verkennt, dass der Staat zurzeit wahrlich nicht linkslastig regiert wird – wenn wir von dem oben genannten und auch von der AfD benutzten politischen Spektrum ausgehen.

Können wir von einer politischen Partei erwarten, dass sie dieselbe Sorgfalt anlegt, zu der Journalisten durch den Pressekodex verpflichtet sind? Eine Partei vertritt Überzeugungen und will Menschen von ihrer Sache überzeugen. So wie bei Umfragen ist es auch hier Aufgabe der Journalisten, diese Überzeugungen nach ihrer Konsistenz und ihrem Wahrheitsgehalt abzuklopfen. Dafür eignen sich öffentliche Äußerungen sowie Partei- und Wahlprogramme. Die AfD meint, der öffentlich-rechtliche Rundfunk werde "in einer Weise von der Politik dominiert, die einer Demokratie unwürdig ist". Statt einer Vollversorgung mit einer "Zwangsgebühr" fordert die Partei eine Art Pay-TV.