TKG-Novelle: Seehofer fordert Online-Ausweispflicht durch die Hintertür

Messenger- und E-Mail-Dienste müssen Nutzer künftig identifizieren, wenn es nach Innenminister Seehofer geht. Staatstrojaner sollen leichter einsetzbar sein.

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Horst Seehofer

Horst Seehofer, bundesdeutscher Innenminister mit Plänen für das Internet und die Telekommunikation allgemein.

(Bild: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa)

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Bundesinnenminister Horst Seehofer drängt bei der laufenden Reform des Telekommunikationsgesetzes (TKG) auf umfassende Änderungen, mit denen tiefe Grundrechtseingriffe verknüpft wären. Der CSU-Politiker hat dazu eine lange Wunschliste als "Formulierungshilfe" an die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD geschickt, die diese auf den letzten Metern der Novelle noch in den Entwurf einbauen sollen. Einer von 15 Punkten enthält eine Identifizierungspflicht vor allem für Messenger- und E-Mail-Dienste.

Telekommunikationsanbieter sollen demnach verpflichtet werden, "Identifizierungsmerkmale zu erheben, zu verifizieren und im Einzelfall den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen". Damit könne "zur Aufklärung von Straftaten im Einzelfall die Anonymität aufgehoben werden", schreibt das Bundesinnenministerium (BMI) in dem vom E-Mail-Provider Posteo veröffentlichten Papier.

Die Vorschrift ziele in erster Linie auf "nummernunabhängige interpersonelle" Dienste ab, erläutert das Innenministerium und nennt konkret WhatsApp und den Facebook-Messenger. Betroffen wären aber auch E-Mail-Dienste wie Gmail, Apples iMessage und Facetime, Signal, Threema, Telegram sowie Videocall-Dienste wie Skype oder Zoom. Selbst wenn dies den Dienstleistern Kosten "im hohen zweistelligen Millionen-Bereich" verursachen würde, hält das BMI den Ansatz für verhältnismäßig, da dem "eine signifikante Verbesserung der Strafverfolgung" gegenüberstünde.

Zuvor hatte etwa die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (IMK) im Sommer eine breite Identifikationspflicht auch in sozialen Netzwerken gefordert. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) führte damals aus: Jemand, der unter Pseudonym im Internet unterwegs sei, "sollte zukünftig beim jeweiligen Anbieter seine Identität hinterlegen müssen", um die Strafverfolgung zu erleichtern. Einen Zwang zu Klarnamen auf Plattformen verlangte die IMK nicht, Pseudonyme sollten weiter möglich.

Die SPD hat den Appell aufgegriffen. Sie will laut dem Entwurf für ihr Programm zur Bundestagswahl "die Plattformbetreiber verpflichten, die Voraussetzungen für eine grundsätzliche Identifizierbarkeit zu schaffen". Eine anonyme und pseudonyme Online-Nutzung bleibe trotzdem prinzipiell weiterhin möglich, meinen die Sozialdemokraten, auch wenn etwa Ermittler die bei der Registrierung hinterlegten richtigen Namen der User abfragen könnten. Die SPD-Bundestagsfraktion dürfte daher ein offenes Ohr für den Vorschlag Seehofers haben

Die Daten der Bürger sollten "nur zum Zweck einer möglichen künftigen Strafverfolgung flächendeckend gespeichert werden", hält Posteo dagegen. "Das wäre nichts anderes als eine Personen-Vorratsdatenspeicherung." Die Identifizierungspflicht würde die Art und Weise, wie Menschen hierzulande Online-Dienste nutzen, grundlegend ändern. User müssten stets zunächst ein Ident-Verfahren durchführen beziehungsweise den Ausweis vorzeigen. Sie wären gezwungen, ihre verifizierten Daten bei zahlreichen Unternehmen zu hinterlegen. Oft handele es sich um werbefinanzierte Dienste denen die bestätigten Informationen "auf dem Silbertablett geliefert würden".

"Das wäre ein beispielloser Angriff auf europäische Werte und das freie Internet. Dinge, mit denen wir uns sonst so gerne von China abgrenzen", kritisierte Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs, den Ansatz gegenüber Netzpolitik.org. "Dieser Angriff auf die Kommunikationsfreiheit aller und die Meinungsfreiheit von Minderheiten sucht seinesgleichen und wäre ein maßloser Versuch, Grundrechte einzuschränken."

Der Seehofer-Katalog geht noch deutlich weiter: Provider, "die Internetzugangs- oder Signalübertragungsdienste anbieten", sollen verpflichtet werden, im Rahmen einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung sowie bei heimlichen Online-Durchsuchungen "Auskünfte zu erteilen und Hilfestellung zu gewähren". Sprich: Sie müssten Sicherheitsbehörden dabei unterstützen, Staatstrojaner auf das Endgerät eines Verdächtigen zu bringen.

Die Große Koalition hat bereits breite rechtliche Befugnisse für den Einsatz solcher Überwachungssoftware geschaffen, die sich in der Praxis aber bislang schwer durchsetzen können. Die gewünschte Mitwirkungspflicht hat Seehofer auch bereits in seinen Entwurf für Staatstrojaner für alle Geheimdienste geschrieben, wogegen etwa der eco-Verband der Internetwirtschaft Sturm läuft.

Den vagen Begriff der "Mitwirkenden" an Telekommunikationsdiensten, unter den etwa Internetcafés, Krankenhäuser und Hotels fallen, will das BMI ausweiten bis hin zu Auftragsdatenverarbeitern. Sie sollen verpflichtet werden, ebenfalls Daten für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden zu erheben und zu speichern. Die Definitionen von Bestands-, Verbindungs- und Standortinformationen will das Ressort deutlich weiter fassen, aus ihrem datenschutzrechtlichen Kontext nehmen und eine genauere Ortung von Handynutzern festschreiben.

Weitere Punkte auf der Liste: Provider sollen eine "zusammenhängende und vollständige Überwachungskopie" an Sicherheitsbehörden liefern, bei Roaming Daten unverschlüsselt ausleiten und einen "unentdeckten" Einsatz des IMSI-Catchers ermöglichen. Diese Geräte senden mit einem stärkeren Signal als Basisstationen der offiziellen Netzbetreiber, sodass sich Handys dort einwählen und überwacht werden können. Dazu kommen soll etwa auch eine Meldepflicht ans Bundeskriminalamt bei "Datenleak-Fällen" wie Doxxing. Diese Forderung hatte Seehofer bereits in einen frühen Entwurf für das geplante IT-Sicherheitsgesetz 2.0 eingebaut.

Da der Katalog nicht Teil des Regierungsentwurfs zur TKG-Reform ist, konnten Sachverständige bei der vierstündigen parlamentarischen Anhörung am Montag dazu auch nicht Stellung nehmen. Sollte die Koalition Teile der Vorlage übernehmen, würde dies quasi ungeprüft erfolgen. Das Gesetzesvorhaben ist an sich mit anderen Aspekten wie dem Recht auf schnelles Internet, einem Wegfall des Nebenkostenprivilegs und dem Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung bereits seit Monaten heftig umstritten.

(vbr)