Informationsfreiheit hat Priorität vor dem Urheberrecht

Der Münsteraner Rechtsprofessor Thomas Hoeren dringt auf die Beachtung der Grundrechte bei der Neugestaltung des Urheberrechts.

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Thomas Hoeren, Rechtsprofessor an der Universität Münster, fordert "eine Neuordnung des Urheberrechts ohne Tabus". Ausgehen müsste der Gesetzgeber dabei vom Grundsatz auf Informationsfreiheit, der im Grundgesetz gleichwertig mit dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit im Artikel 5 verankert ist. "Ausschließlichkeitsrechte an Informationen", wie sie die Verwertungsindustrie und Inhalteanbieter immer wieder einfordern, bedürften demgegenüber einer gesonderten Rechtfertigung. Schließlich sei der Anspruch auf "geistiges Eigentum" aus der juristischen Diskussion aus guten Gründen verschwunden: Geschützt würden nur die "Auskleidungen", die formalen Ausgestaltungen geistiger Schöpfungen. Die Gestaltungshöhe von Schutzmechanismen im Urheberrecht müsse sich daher allein an der tatsächlich erbrachten kreativen Leistung messen lassen. "Wer vier Zeilen Basic-Code schreibt, kann sie in der Regel nicht schützen lassen", bringt Hoeren ein Beispiel.

Der Jurist stellte seine Forderungen an den Gesetzgeber auf dem Kongress Digital Rights Management vor, der am heutigen Dienstag im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft begann. Eine Kernfrage auf der Veranstaltung ist, inwiefern technische Systeme für die Verwaltung und den Schutz digitaler Inhalte bereits funktionieren und Veränderungen im Urheberrecht in der vernetzten Welt rechtfertigen. Zur Diskussion stehen dabei Punkte wie die bislang über Pauschalgebühren erfolgende Entschädigung von Urhebern für rechtmäßige Kopien oder das Recht des Verbrauchers auf die Privatkopie generell.

Hoeren stellte nun klar, dass die als "Ausnahmen" beziehungsweise "Schranken" im deutschen Urheberrechtsgesetz sowie auch in der von den Mitgliedsstaaten noch umzusetzenden EU-Richtlinie zur "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrecht und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" aufgeführten Rechte "verfassungsmäßig abgesichert sind". Es gehe dabei um Grundrechte, nicht um Beiwerk. Vor allem das in den Schrankenregeln verbriefte Recht auf die Privatkopie sei daher auch nicht aus reinem Pragmatismus geschaffen worden, weil man nicht alle Welt verklagen und die normalen Bürger als Kriminelle abstempeln wollte. Hinter der Überlegung stehe das Recht auf den Zugang zum verfügbaren Wissen.

Falsch sei es daher, dass die EU-Urheberrechtrichtlinie die Schranken als fakultativ darstellt, meint Hoeren. Die Brüsseler Kommission könne noch so oft die "Verfahrensgerechtigkeit" in den Vordergrund stellen, die sie bei der Formulierung der Direktive angewendet habe. Denn da die Nutzer im Gegensatz zu den Geräteherstellern oder der Medienindustrie bislang keine echte Lobby hätten, sei ihre Stimme nicht gehört worden. Der Rechtsprofessor forderte daher ein "Moratorium" bei der Umsetzung der Richtlinie sowie eine "offene Diskussion", bevor Nägel mit Köpfen gemacht würden. "Es kann nicht sein, dass wir die Nutzer nicht ebenso schützen wie die Interessen der Verwerter."

Gerade der Musikindustrie warf Hoeren ferner ein doppeltes Spiel vor, da sie einerseits weiter für Leermedien Vergütungspauschalen fürs Kopieren kassiere und andererseits die Privatkopie durchs digitale Rechtemanagement verhindern wolle. Insgesamt halte die Content-Industrie längst nicht mehr das Urheberrecht hoch. Es gehe ihr vielmehr allein um das "Recht auf Zugang" und die Schaffung und Durchsetzung eines "virtuellen Hausrechts." So werde es zumindest aus der Verwertungslogik heraus verständlich, dass ein Plattenlabel wie Sony Music selbst Werke aus dem 17. Jahrhundert plötzlich auf CD mit einer Kopiersperre versehe. Prekär findet es Hoeren aber auch, dass beispielsweise die amerikanische Library of Congress historische Werke wie etwa Nazi-Materialien mit Hilfe der DRM-Techniken nur für eine Woche nutzbar mache. (Stefan Krempl) / (jk)