Studie stutzt Bundestux die Flügel

Eine vom Bundestag in Auftrag gegebene Analyse hält Open-Source-Software für die Abgeordneten zunächst nur als Beilage im Serverbereich für genießbar.

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Eine bei der Berliner Firma Infora in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie, deren Ergebnisse heise online vorliegen, empfiehlt den Einsatz von Linux im Bundestag nur als E-Mail-Server und als Groupware-Lösung. Für alle anderen Serverdienste und auf dem Desktop seien die Parlamentarier mit Windows momentan noch besser bedient. Entscheidend für das Urteil sind dem Beratungshaus zufolge die noch nicht ausreichenden Funktionen von Open-Source-Lösungen für die Endanwender in den Abgeordnetenbüros. In der vom Bundestag in Auftrag gegebenen Studie heißt es dazu, dass "Einrichtungs- und Umstellungsaufwände bei den Linux-lastigen Varianten zu erheblichen Abwertungen führten". Inmitten eines gewaltigen Lobbygedränges ist in der heißen Debatte zwischen Microsoft-Anhängern und dem sich für Linux stark machenden Open-Source-Lager, das von Firmen wie IBM und SuSE gestützt wird, damit die vermutlich den Ausschlag gebende Vorentscheidung für die neue IT-Landschaft des Bundestags gefallen.

Die Analysten nahmen fünf "grundsätzlich machbare" Infrastruktur-Alternativen unter die Lupe, die von einer vollständigen Linux- bis zu einer reinen Windows-Lösung reichten. Die wichtigsten, zusammen mit der für Informations- und Kommunikationstechniken (IuK) zuständigen Bundestags-Kommission erarbeiteten Kriteriengruppen waren die Client-Funktion, worunter die Studienmacher die Ergonomie der Oberflächen und ihre Anpassbarkeit fassten, und die IT-Sicherheit. Gewichtsmäßig folgte die Prüfung vorhandener Infrastrukturdienste wie die Benutzerverwaltung und die Breite der verfügbaren Anwendungen. Geachtet wurde daneben auf Punkte wie die Kompatibilität mit der vorhandenen Hardware oder den Systembetrieb.

Am besten schnitt dabei mit 8050 Punkten die Mini-Linux-Lösung ab, die im Serverbereich Windows 2000 mit einem Hauch Open-Source-Software versieht. Mit im Rennen für die noch ausstehende Kostenanalyse ist zudem eine ähnlich Variante, die Linux beziehungsweise Open-Source-Software auch als Datei- und Druckserver sowie unter anderem für die Benutzeranmeldung, Datenbanken und ­sicherung vorsieht und auf 7745 Punkte kam. Microsofts Verzeichnisdienst Active Directory ist bei diesem Modell nicht an Bord.

Mit einem Abstand von rund 300 Punkten folgt die "Alles-bleibt-beim-Alten"-Variante, bei der Windows im Server- und im Client-Bereich wie bisher auf den rund 5.000 Rechnern im Bundestag ausschließlich eingesetzt wird. Dabei sorgte vor allem Microsofts E-Mail-Server Exchange aufgrund Sicherheitsbedenken für eine Negativbewertung. Die auf dem vierten Platz mit 6370 Punkten rangierende Lösung, bei der bis auf den Terminal-Server alle Backoffice-Funktionen unter Linux laufen würden, war dem Drittplatzierten bei den Kriteriengruppen Security überlegen und punktete auch bei der Hardwarenutzung und im Systembetrieb. Nicht überzeugen konnte die Infora-Tester aber die Benutzerfreundlichkeit. Die mit 4365 Punkten weit abgeschlagene reine Open-Source-Variante wollten die Berater ihrem Kunden -­ ähnlich wie bei der zuvor durchgeführten Studie für das Bundesinnenminsterium -­ aufgrund zu großer Eingriffe in die bestehende Arbeitsumgebung nicht ans Herz legen.

Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und Mitglied in der IuK-Kommission, hofft nun, dass aus der in den letzten Wochen extrem ideologisch aufgeladenen Diskussion um die Migration des Betriebssystems mit dem Gutachten der "politische Pulverdampf" heraus ist. Die der Kommission und dem letztlich entscheidenden Ältestenrat als Vorlage dienende Studie biete die Perspektive eines "sachten Einstiegs" in die Open-Source-Welt, dem weitere Schritte folgen könnten. Es sei unverantwortbar, weiter ideologische Kämpfe zu führen. "Der Bundestag muss vor allem arbeitsfähig bleiben", lautet das Plädoyer des FDP-Politikers. Dazu brauche man ein benutzerfreundliches System ohne weitere "quälende Anforderungen". Momentan sei es beispielsweise aufgrund "Firewalls an jeder Ecke" nicht einmal möglich, einen Live-Chat zu führen. Als "Versuchskaninchen" dürfe der Bundestag trotz aller Bedenken hinsichtlich Risiko-reicher Monokulturen im Systembereich nicht herhalten.

Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen, die sich vor einer Woche gegen den Einsatz von Microsoft-Programmen zur Initiative Bundestux zusammengefunden hatten, sind von der Studie dagegen enttäuscht. Eine Kompromisslösung werde nun zwar immer wahrscheinlicher, sagt der SPD-Netzpolitiker Jörg Tauss, der in einem offenen Brief Microsoft aufgrund unsauberer Lobbying-Methoden gerade "massive Einflussnahme" auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess vorwarf. Aber zumindest bei der Austarierung der Linux-Anteile auf dem Server sei das letzte Wort noch nicht gesprochen.

In der CDU/CSU-Fraktion hatten Netz-affine Abgeordnete wie die Internet-Beauftragte Martina Krogmann und der bayerische Internet-Experte Martin Mayer in den vergangenen Monaten eine stärkere Aufgeschlossenheit ihrer Kollegen gegenüber Linux erzielt. Die Angst vor dem Schritt in die Welt des offenen Quellcodes ist dort gerade bei weniger erfahrenen Computernutzern allerdings immer noch groß. So hat sich beispielsweise die unbegründete Befürchtung breit gemacht, dass es keinen Browser für Linux gäbe. Dabei surfen die Parlamentarier standardmäßig mit Netscape, sodass in diesem Bereich nicht einmal eine Umgewöhnung nötig wäre. (Stefan Krempl) / (jk)