EU-Parlament stimmt für Klimaneutralität bis 2050, Bürgerrat für Tempolimit

Die EU erhöht ihr Emissionsreduktionsziel für 2030 von 40 auf 55 Prozent. Ein Bürgerrat fordert, Klimaschutz als Menschenrecht ins Grundgesetz aufzunehmen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen

(Bild: rhfletcher/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das EU-Parlament hat am Donnerstag den Entwurf für ein Europäisches Klimagesetz befürwortet. Damit verknüpft ist das Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Bisher lag die Latte bei minus 40 Prozent. Zugleich wird das Versprechen aus dem europäischen Grünen Deal, bis 2050 klimaneutral zu werden, eine Pflicht. Innerhalb der nächsten 30 Jahre müssen die Emissionen von CO2 und anderen klimaschädlichen Gasen so netto auf Null sinken.

Für die Initiative stimmten 442 Abgeordnete. 203 waren dagegen, 51 enthielten sich. Ein anstehender Entwurf der EU-Kommission zur Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft soll laut dem Parlament über den Einbezug der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen aus Landnutzung und Forstwirtschaft das Reduktionsziel für 2030 faktisch auf 57 Prozent anheben.

Die Kommission muss laut dem Beschluss spätestens sechs Monate nach der ersten weltweiten Bestandsaufnahme im Jahr 2023 einen Vorschlag für ein unionsweites Klimaziel für 2040 vorlegen, um das einschlägige Abkommen von Paris einzuhalten. Die Brüsseler Regierungseinrichtung sagte ferner zu, 2024 einen Bericht über die maximale Höhe der Treibhausgasemissionen veröffentlichen, die die EU im Zeitraum 2030 bis 2050 im Lichte der Pariser Übereinkunft ausstoßen darf ("EU-Klimabudget").

Bis Ende September 2023 und danach alle fünf Jahre wird die Kommission zudem die gemeinsamen Fortschritte aller EU-Länder sowie nationale Maßnahmen auf dem Weg hin zur Klimaneutralität bewerten. In Anbetracht der Bedeutung unabhängiger wissenschaftlicher Beratung und auf der Grundlage eines Vorschlags des Parlaments wird auch ein europäischer wissenschaftlicher Beirat für Klimawandel eingesetzt, der die eingeleiteten Aktionen mit prüfen und überwachen soll.

Die Volksvertreter hatten zunächst eine Pflicht gefordert, die Emissionen um 60 Prozent zu senken, um die globale Erderwärmung tatsächlich im Sinne der Paris-Vereinbarung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Die EU-Staaten plädierten aber für minus 55 Prozent. Einem entsprechenden Kompromiss stimmte das Parlament im April schließlich nach den Zusagen der Kommission zu.

Die Grünen stimmten gegen das Gesetz, da damit die Pariser Klimaziele nicht zu erfüllen seien. Bei den 55 Prozent handle es sich um eine Brutto-Vorgabe, die Senken wie Wälder und Moore einbeziehe, geben sie zu bedenken. Würden diese natürlichen CO2-Speicher abgezogen, schrumpfe die Vorgabe auf 52,8 Prozent netto zusammen. Der grüne Verhandlungsführer Michael Bloss monierte: Der Gesetzgeber höre nicht auf die Stimmen der Wissenschaftler, die Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände, Wasserknappheit und den Verlust der Arten ankündigten. Auch Urteile des Bundesverfassungsgericht und von Gerichten in Frankreich, Belgien und den Niederlanden würden ignoriert.

Die Parlamentsberichterstatterin Jytte Guteland von den Sozialdemokraten hätte es ebenfalls "vorgezogen, noch weiter zu gehen". Trotzdem handle es sich um einen "guten Deal, der auf wissenschaftlicher Grundlage beruht und einen großen Unterschied machen wird". Der EU-Ministerrat muss die Absprache noch formell billigen. Die Verordnung wird dann im Amtsblatt der EU veröffentlicht und 20 Tage später in Kraft treten. Die Kommission plant, Mitte Juli 2021 eine Reihe von Vorschlägen vorzulegen, damit die EU das ehrgeizigere Ziel für 2030 erreichen kann.

Parallel hat der "Bürgerrat Klima" seine Leitlinien an die Politik präsentiert. Das Gremium hatte vom 26. April bis 23. Juni unter der Schirmherrschaft von Ex-Bundespräsident Horst Köhler getagt. Mithilfe von Experten machten sich dabei 160 ausgeloste Menschen mit den Anforderungen des Klimaschutzes vertraut. Sie stellten sich der Frage, wie Deutschland die Ziele des Pariser Abkommens unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte erreichen kann.

Zu den wichtigsten Ergebnissen gehört, dass das 1,5-Grad-Ziel oberste Priorität haben müsse. Klimaschutz sei ein Menschenrecht und sollte ins Grundgesetz aufgenommen werden, verlangt der Rat. Darüber hinaus plädiert er für Vorgaben und Maßnahmen in den Handlungsfeldern Energie, Mobilität, Gebäude und Wärme sowie Ernährung. Mit einer vergleichsweise knappen Mehrheit von 58 Prozent empfiehlt die Stimme des Volkes etwa, ein generelles Tempolimit zu erlassen. Auf Autobahnen soll demnach 120 km/h gefahren werden dürfen, auf Landstraßen 80 und innerstädtisch 30 km/h. Der einzige Vorschlag, der keine Mehrheit fand, war die Einführung einer City-Maut.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der Rat sieht den Staat zudem in der Verantwortung, einen Rahmen zur Orientierung für die Energiewende zu setzen. Dieser soll unbürokratisch, parteiübergreifend und humanistisch im Sinne der Generationengerechtigkeit zustande kommen. "Die Geschwindigkeit der Energiewende hat Vorrang vor den Kosten, wobei der Endverbraucher finanziell am geringsten belastet werden sollte", lautet ein weiterer Appell. Die Versorgungssicherheit soll dabei gewährleistet bleiben. Die Akzeptanz der Bürger müsse durch verstärkte Partizipation gewährleistet werden.

Die gesamte Energieversorgung Deutschlands soll bis 2035 zu 70 Prozent und bis 2040 zu 90 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, meinen die Beteiligten mehrheitlich. Im Stromsektor sollen hier 100 Prozent bereits bis 2035 erreicht sein. Der ÖPNV müsse "unverzüglich ausgebaut, optimiert und attraktiver werden". Der CO2-Preis soll als verbindliches Instrument für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Bis 2030 müssten eine klimafreundliche Landwirtschaft und ein ebensolcher Ernährungssektor umgesetzt werden.

(bme)