Social Media für Online-Wahlkampf und datengestützte Hausbesuche

Auf Facebook & Co. finden Wahlstrategen ideale Bedingungen, um maßgeschneiderte Botschaften an ausgewählte Zielgruppen auszuspielen – auch zur Bundestagswahl.

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(Bild: Felix-Mittermeier, Pixabay)

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Inhaltsverzeichnis

Im Vorfeld der diesjährigen Bundestagswahl investieren deutsche Parteien kräftig in Online-Wahlkampf und datengestützte Hausbesuche. Bürgerrechtler und Wissenschaftler halten extreme Formen des Wähler-Targetings insbesondere angesichts der undurchschaubaren Empfehlungsalgorithmen von Facebook, Google & Co. jedoch für demokratiegefährdend. Diese rühren automatisiert eine Melange aus Nachrichten, privaten Posts und Werbung zusammen und präsentieren sie in allzu homogener Form als "Newsfeed". Die Transparenzoffensiven sowie Maßnahmen gegen Hass und Desinformation sind in den Augen der Kritiker rein kosmetischer Natur.

Auch deutsche Parteien verlagern die Werbung zunehmend ins Netz und analysieren Daten, um ihre begrenzten personellen und finanziellen Mittel dort einzusetzen, wo es sich lohnt: bei der eigenen Klientel nebst sympathisierenden Wechselwählern.

Rundfunk- und TV-Sender sind aufgrund ihrer Reichweite prädestiniert dafür, als Propagandainstrument missbraucht zu werden, weshalb sie in Deutschland den strengsten Regeln bei der Ausstrahlung von Wahlwerbespots unterliegen. Weil der Gesetzgeber sie zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, müssen sowohl die Öffentlich-Rechtlichen als auch die Privaten den Parteien vor den Bundestags- sowie den Landes- und EU-Parlamentswahlen angemessene Sendezeit einräumen. Ein Anrecht darauf haben im Vorfeld der Bundestagswahl diejenigen Parteien, für die mindestens eine Landesliste zugelassen wurde. Auch inhaltlich zieht der Gesetzgeber eine klare Grenze: Rundfunkanstalten dürfen Wahlwerbespots nur ablehnen, wenn sie gegen das Strafrecht verstoßen.

Dagegen muss die Presse keine neutrale Haltung einnehmen. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage entscheiden nach eigenen Kriterien, ob sie Anzeigen politischer Parteien annehmen oder ablehnen. In der Regel orientieren sie sich dabei am Pressekodex, legen aber mitunter recht unterschiedliche Maßstäbe an, wie der Faktenfuchs am Beispiel einer AfD-Anzeige dokumentiert Die Partei hatte in mehreren Zeitungen Wahlwerbung mit dem Slogan „Freie Wahl statt Impfpflicht“ geschaltet, unter anderem in der Mittelbayerischen Zeitung sowie im Münchner Merkur.

Als Leser der Mittelbayerischen kritisierten, dass die Anzeige suggeriere, es gebe eine Impfpflicht (was nicht der Fall ist), entschuldigte sich der Verlag und erklärte, dass diese Werbung nach den Kriterien der Verlagsleitung eigentlich nicht hätte veröffentlicht werden dürfen. Der Münchner Merkur zieht die Grenze hingegen erst bei volksverhetzenden und radikalen Inhalten und sah in dem fraglichen Slogan keinen Konflikt. Die Augsburger Allgemeine wiederum veröffentlicht grundsätzlich keine Wahlwerbung der AfD.

Verglichen mit Rundfunk und Presse ist die Online-Werbung ein gesetzlich weitgehend unreguliertes und undurchschaubares Feld. Zwar müssen sich Werbetreibende bei Google und Facebook mittlerweile registrieren, einen Sitz innerhalb der EU nachweisen und politische Anzeigen kennzeichnen. Doch anders als in Verlagen bekommt deren Inhalt vor der Veröffentlichung kein Mensch zu Gesicht, sondern nur ein Algorithmus.

Große Plattformen wie Google und Facebook können Zielgruppen besonders fein austarieren und mit passender Werbung versorgen. Sie haben ausreichend Nutzerdaten gesammelt und auf dieser Basis Machine-Learning-Algorithmen trainiert, um Produkte jedweder Art – vom Schuh bis hin zur politischen Botschaft – denjenigen anzupreisen, die dafür vermeintlich besonders empfänglich sind. Google hat das Targeting auf die Auswahl von Alter, Geschlecht und Wohnort (Postleitzahl) sowie kontextsensitive Formate beschränkt, während sich Facebook- und Instagram-Kampagnen immer noch nach allen Regeln der Werbekunst optimieren lassen.

Neuere Techniken ermitteln Zielgruppen dynamisch anhand ihres aktuellen (Lese-) Verhaltens und setzen selbstlernende Algorithmen ein, um Anzeigen automatisiert und auf den Kontext abgestimmt zu platzieren. Dafür benötigt man dann deutlich weniger oder gar keine persönlichen Daten der Nutzer mehr.

Vertieft sich beispielsweise jemand – egal wie alt und welchen Geschlechts – gerade in einen Beitrag über den Truppenabzug aus Afghanistan, liest auch die KI des Werbedienstleisters fleißig mit: Mithilfe neuronaler Netze zur Text-, Bild- und Videoerkennung versuchen Plattformen automatisiert einzuschätzen, welche Werbebotschaft zum Thema und der vermuteten Stimmung des Textes passt – und spielen eine passende Anzeige in Echtzeit ein.

Mit Facebook Dynamic Ads testet die CDU offenbar, wie unterschiedliche Anzeigenmotive bei unterschiedlichen Zielgruppen ankommen.

Für gesellschaftspolitisch besonders bedenklich halten einige Forscher sogenannte Dynamic Ads – gewissermaßen Anzeigebaukästen und Verhaltensstudien in einem. Damit testen die Algorithmen mehrere Gestaltungsvarianten automatisiert an verschiedenen Zielgruppen und optimieren die Kampagne anhand der Reaktionen. Der Auftraggeber muss lediglich die Text-, Bild- und Videobausteine liefern – und die Facebook-Algorithmen ermitteln, welche Variante bei welcher Gruppe am besten wirkt.


c't hat in einem Beitrag analysiert, welche Möglichkeiten Facebook und Google den politischen Organisationen hierzulande bieten und welche Grenzen ihnen gesetzt sind.


Ganz vorne dran mit dynamischer Facebook- und Instagram-Werbung ist momentan die CDU. Sie hat für den Wahlkampf die Agentur „Serviceplan Reputation“ engagiert, die sich unter anderem auf das (Wieder-)Herstellen der Reputation von Unternehmen spezialisiert hat. Mit Motiven in freundlichen Pastellfarben inszeniert sich die Regierungspartei als Gestalter einer rosigen Zukunft durch technischen Fortschritt – und zwar in allen Bereichen von Wirtschaft über Klimaschutz bis hin zu Gesundheit und Digitalisierung. Dabei machte sie zu Beginn des Wahlkampfs im Juli bereits regen Gebrauch von dynamischen Ads, experimentiert offenbar mit verschiedenen Motiven für verschiedene Zielgruppen. Manche wurden verstärkt an die Zielgruppe ab 35 ausgespielt, die meisten eher an Männer.

Auch die FDP gibt sich auf Facebook tatkräftig, propagiert technische Lösungen für die Probleme der Zeit (von Bildung bis Klima) und inszeniert Christian Lindner als charismatischen Macher. Ähnlich wie die CDU experimentiert auch die FDP mit dynamischen Anzeigen.

Die Grünen werben noch eher zurückhaltend vor allem um Unterstützer im Wahlkampf und thematisch fürs Klima und bezahlbares Wohnen. Dynamische Anzeigen wurden bislang nicht verwendet, Männer und Frauen eher gleich bedient, der Fokus liegt tendenziell auf der mittleren Altersgruppe.

Auch die Linke spart sich das Budget offenbar für die heiße Phase auf, wirbt bislang noch vor allem um Unterstützer.

AfD-Werbung kommt im Stil boulevardjournalistischer Inhalte daher. Die Zahlen und Fakten im Text sind recht kreativ kombiniert, damit der Leser die gewünschten Schlüsse zieht.

Die AfD schaltet Werbung mit Skandal-Meldungen im Stil einer Boulevard-Zeitung, die das Bild eines aus den Fugen geratenen Landes zeichnen und fordert die Rückkehr zu einem „normalen“ Deutschland. Dafür greift sie gern aktuelle Ereignisse oder (vermeintliche) Missstände auf, leitet daraus eine plakative Forderung ab und untermauert die eigene Sichtweise mit geschickt aneinandergereihten Fakten und Zahlen. Die Beweiskette weist allerdings an entscheidender Stelle häufig einen logischen Bruch auf – oder es fehlen wichtige Details.

c’t Ausgabe 17/2021

In c’t 17/2021 liefern wir jede Menge Anregungen und Tipps fürs mobile Büro. Wir bescheren älteren Geräten mit dem Raspberry Pi einen zweiten Frühling, haben Versender von Phishing-Mails entlarvt und den brandneuen AMD Ryzen 5700G getestet. Außerdem beleuchten wir klimafreundliche(re) Kryptowährung, testen USB-Speicher mit Schreibschutz und stellen sechs technische Konzepte für Quantencomputer vor. Ausgabe 17/2021 finden Sie ab dem 30. Juli im Heise-Shop und am gut sortierten Zeitschriftenkiosk.

(atr)