BGH: Facebook muss gelöschte "Hassrede" wieder freischalten

Der Bundesgerichtshof erklärt Klauseln für ungültig, die Löschungen von Hasskommentaren rechtfertigen. Facebook muss Nutzern die Chance zum Widerspruch geben.

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(Bild: nitpicker/Shutterstock.com)

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Facebook darf Beiträge und Nutzerkonten bei Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen grundsätzlich sperren, muss die Betroffenen aber informieren und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Eine Klausel der im April 2018 eingeführten Geschäftsbedingungen, mit der sich Facebook bei Verstößen gegen die "Gemeinschaftsstandards" die Löschung und Sperrung vorbehält, ist laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Donnerstag ungültig, weil sie Nutzer unangemessen benachteilige (Az. III ZR 179/20, III ZR 192/20).

Ein Nutzer und eine Nutzerin hatten Facebook jeweils wegen der Löschung eines Beitrags und der Sperrung ihrer Konten verklagt. Beide hatten sich pauschal über Einwanderer geäußert. "Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's!", hieß es unter anderem in dem einem der streitgegenständlichen Beiträge.

In dem anderen Verfahren geht es um einen Kommentar unter einem Video, das eine Person mit Migrationshintergrund zeigt, die sich nicht von einer Polizistin kontrollieren lassen will. "Die werden sich hier nie integrieren und werden auf ewig dem Steuerzahler auf der Tasche liegen", hatte der Kläger kommentiert. Diese "Goldstücke" könnten nur "morden, klauen, randalieren" und würden "nie arbeiten".

Facebook hat diese Beiträge sowie die zugehörigen Konten im August 2018 gesperrt und beruft sich dabei auf die "Gemeinschaftsstandards" und das dort erklärte Verbot von "Hassrede". Mit ihren Klagen waren die Betroffenen in den Vorinstanzen weitgehend erfolglos. Das Oberlandesgericht Nürnberg wies im August 2020 schließlich beide Klagen ab. Der BGH hat diese Urteile nun weitgehend aufgehoben und Facebook verurteilt, die gelöschten Beiträge wieder freizuschalten, weil die Löschung auf Grundlage der ungültigen Nutzungsbedingungen erfolgt sei.

Die entsprechenden Regeln in den Nutzungsbedingungen sind unwirksam, "weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden", stellt der BGH fest. Es bedürfe "einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen", insbesondere der "kollidierenden Grundrechte", betonen die Richter: "Auf Seiten der Nutzer die Meinungsäußerungsfreiheit, auf Seiten der Beklagten vor allem die Berufsausübungsfreiheit."

Für den BGH sind die strittigen Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Richter erkennen aber zugleich an, dass Facebook "bestimmte Kommunikationsstandards" vorgeben darf, "die über die strafrechtlichen Vorgaben (z.B. Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung) hinausgehen". Im Sinne des Interessenausgleichs müsste sich Facebook aber verpflichten, den Nutzer "über die Entfernung eines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt".

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Der BGH liegt damit auf der Linie der jüngsten Änderungen des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), mit denen ein "Gegenvorstellungsverfahren" eingeführt wurde. Das Gesetz verpflichtet Plattformbetreiber, ihre Entscheidungen auf Antrag zu überprüfen und das Ergebnis gegenüber dem Betroffenen "in jedem Einzelfall zu begründen". Die Position des Gerichts hatte sich bereits in der Verhandlung vergangene Woche abgezeichnet. Der Facebook-Anwalt hatte dabei eine vorherige Anhörung vor Sperrungen als "vollständig unpraktikabel" bezeichnet. Tag für Tag gebe es Hunderte Fälle.

Für Facebook dürfte das Urteil also ein massives administratives Problem schaffen. Denn der BGH spricht eindeutig davon, dass auf die "Gegenäußerung" eine "Neubescheidung" folgen müsse: Jemand muss sich mit den Argumenten der von Sperrung oder Löschung Betroffenen auseinandersetzen und sie bei einer zweiten Entscheidung berücksichtigen. Das geht nicht ohne Weiteres per Algorithmus.

Facebook setzt zur Moderation unter anderem Heerscharen von Clickworkern in Schwellenländern ein, unterhält aber auch ein Löschteam in Deutschland. Auch das im vergangenen Jahr eingerichtete Oversight Board mit zunächst 20 Mitgliedern wird den Anforderungen des BGH-Urteils nicht genügen, es entscheidet zudem nur in ausgesuchten Streitfällen wie dem des gesperrten ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.

Das Unternehmen begrüßte zunächst die Feststellung der Richter, dass das Netzwerk grundsätzlich berechtigt sei, Inhalte nach eigenen Richtlinien zu entfernen und die betreffenden Nutzerkonten zu sperren. Facebook werde die BGH-Entscheidung "sorgfältig prüfen, um sicherzustellen, dass wir weiterhin effektiv gegen Hassrede in Deutschland vorgehen können", sagte ein Sprecher. "Wir tolerieren keine Hassrede und setzen uns dafür ein, unzulässige Inhalte von Facebook zu entfernen."

Die vom BGH entschiedenen Fälle unterscheiden sich von anderen Rechtsstreits, die im Spannungsfeld von "Hatespeech" und Meinungsfreiheit ausgefochten werden. Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) will erreichen, das Facebook weiterreichende Löschpflichten für rechtswidrige Inhalte auferlegt werden. In ihrem Fall geht es um Zitate, die ihr in den Mund gelegt wurden. Im vergangenen Jahr hat die österreichische Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek nach einem jahrelangen Rechtsstreit gegen Facebook erreicht, dass das soziale Netzwerk Beleidigungen weltweit löschen muss.

(vbr)