Kommentar: Teil-Verbot für Glyphosat in Deutschland ist überfällig

Seit ein paar Tagen schränkt die neue Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung den Einsatz von Glyphosat stark ein – ein längst überfälliger Schritt mit Folgen.

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(Bild: Marko Aliaksandr / Shutterstock.com)

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Es geht um viel. Das Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat – besonders bekannt unter dem Handelsnamen Roundup – geistert seit Jahren durch die Schlagzeilen. Seit den 70er Jahren ist der Wirkstoff auf dem Markt, der fast alles tötet, was grün ist. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurden allein in Deutschland 2019 rund 3100 Tonnen Glyphosat verkauft. Das ist zwar nur gut die Hälfte des Glyphosats, das 2012 auf den Markt kam – und sicher auch ausgebracht wurde – aber immer noch eine gewaltige Menge.

Ein Kommentar von Jo Schilling

Jo Schilling ist TR-Redakteurin. Sie hat nie ganz aufgehört, Naturwissenschaftlerin zu sein und ist überzeugt, dass komplizierte Zusammenhänge meist nur kompliziert sind, weil noch die richtigen Worte für sie fehlen.

Und es sind durchaus nicht nur Landwirte und Kleingärtner, die das Herbizid einsetzen – ein Großabnehmer war bislang die Deutsche Bahn, die ihre Schienentrassen mit dem Pflanzenvernichtungsmittel frei gehalten hat. Die Bahn schwenkt nach eigenen Angaben spätestens bis Ende 2022 auf heißes Wasser, UV-Licht und andere Herbizide um und auch alle anderen werden durch die neue Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung endlich zu Alternativen gezwungen. Denn sie schränkt den Einsatz von Glyphosat deutlich ein.

Bereits 2005 publizierte eine französische Forschungsgruppe, dass Roundup starke toxische Effekte auf menschliche Zellen hat. Monsanto, der Hersteller, zog die Methoden hinter der Studie in Zweifel. 2009 wagte sich die Gruppe erneut an eine Risikobetrachtung, publizierte und wurde wieder abgebügelt. Lange galt Glyphosat als nicht krebserregend – die Geschichte ist zu lang, um hier erzählt zu werden – aber mit dem ersten US-amerikanischen Gerichtsurteil im August 2018 wendete sich das Glyphosat-Blatt: Einem an Krebs erkrankten Hausmeister sprach das Gericht 289 Millionen Dollar Schadenersatz zu, weil es als erwiesen ansah, dass der jahrelange Einsatz des vermeintlich harmlosen Glyphosats den Hausmeister krank gemacht hatte. Die Entscheidung ging durch mehrere Instanzen, aber letztlich zahlte Bayer (der inzwischen Monsanto übernommen hatte) 20,5 Millionen Dollar Schadenersatz.

Dass ein äußerst wirksames Totalherbizid krebserregend sein könnte, ist, wenn man seinen gesunden Menschenverstand einschaltet, keine allzu große Überraschung. Allerdings streiten sich die Expertinnen und Experten bis heute über die Auswirkungen von Glyphosat auf den menschlichen Organismus und das Urteil gegen Monsanto/Bayer bezog sich auch nicht direkt auf die Kanzerogenität an sich, sondern auf die fehlenden Warnungen vor einer potentiellen Krebsgefahr.

Krebsgefahr an sich ist noch kein Ausschlusskriterium für den Gebrauch von Chemikalien in der Industrie. Auch andere Wirkstoffe sind kanzerogen, werden dennoch in der Industrie eingesetzt und müssen eben fachgerecht gehandhabt werden. Wer allerdings in seinem privaten Garten meint, auf ein Totalherbizid zurückgreifen zu müssen, damit unter der Tuja-Hecke und dem Jägerzaun auch garantiert kein Unkraut mehr wächst, geht ohnehin ein Risiko ein, das in keinem Verhältnis zu den Gefahren steht, die beim Einsatz einer Hacke und Schere lauern.

So oder so hat die Klagewelle, die über Bayer nach dem ersten Urteil hinweggezogen ist, eine Kettenreaktion ausgelöst, die auch die umweltschädlichen Wirkungen von Roundup und all den anderen Glyphosat-Formulierungen in den Vordergrund gerückt hat. Die Wirkungen auf die Tier-, Pflanzen- und Pilzwelt sind allerdings vielfältig, lassen sich nicht verallgemeinern. Insekten und Vögel fallen nicht tot vom Stängel, wenn sie mit Glyphosat in Berührung kommen. Das erschwert die Diskussion um Zulassungsverlängerungen.

Allerdings haben Glyphosat-Gegner einen Joker: Die Honigbiene, denn die reagiert sehr sensibel auf das Herbizid – selbst wenn sie nicht durch Glyphosat-Anwendungen stirbt, verliert sie die Orientierung und ihre Darmflora und damit ihr Immunsystem wird gestört. Aber mit den Bienen steht und fällt ein großer Teil unserer Lebensgrundlage. Alle Blüten, die für die Entwicklung von Früchten bestäubt werden müssen, sind nun einmal auf Bienen angewiesen. Und so ist die Einschränkung des Glyphosat-Einsatzes in Deutschland nicht eine Folge der Diskussion um Krebserkrankungen, sondern Teil des Aktionsprogramms Insektenschutz der Bundesregierung.

Es klingt zunächst gut, was in der neuen Verordnung steht: Verbot für die Landwirtschaft beispielsweise in Wasserschutzgebieten, keine Spätanwendungen mehr vor der Ernte, Anwendung nur noch im Einzelfall zulässig, wenn andere Maßnahmen nicht geeignet oder zumutbar sind. Der einzige Haken ist, dass "der Anwender" selbst zu prüfen hat, ob es Alternativen gibt und wie es um die Zumutbarkeit steht. Ebenfalls verboten ist der Einsatz jetzt auch in Privatgärten und Parks, auf Spielplätzen oder Sportplätzen.

Ganz Schluss mit Glyphosat ist dann wahrscheinlich erst Ende 2023, dann sind die Wirkstoffgenehmigung und die zugehörige Übergangsfrist auf EU-Ebene ausgelaufen. "Wahrscheinlich", weil sich Stimmen melden, die mit dem EU-weiten Verbot von Glyphosat durchaus nicht einverstanden sind. Sollte die Genehmigung tatsächlich auslaufen, wird es anschließend spannend. Denn dann stehen Landwirte auf einmal wieder dem Unkraut gegenüber.

Dass unsere Landwirtschaft so effizient und ertragreich ist, verdankt sie zu einem nicht unbeträchtlichen Teil dem Glyphosat. Gerade die kleinen Betriebe, die ohnehin allein aus Kostengründen sparsam mit Herbiziden umgehen, wird es hart treffen, denn sie haben weder das Personal noch die Maschinen, um der Wildkräuter auf den Feldern Herr zu werden. Und ein Landwirt, der mit der Rückenspritze an seiner Feldkante entlanggeht, um die Quecke aus seinem Acker fernzuhalten, richtet auch mit Glyphosat keinen nennenswerten Schaden an.

Die industrielle Landwirtschaft, die tausende Hektar bewirtschaftet, deren kleinste Spritzeneinstellung drei Meter Breite hat und die mit Glyphosat kurz vor der Ernte das Leben aus den Getreidehalmen spritzt, um effizienter ernten zu können, hat die Artenvielfalt, die Kornblume und den Klatschmohn auf dem Gewissen. Die mit dem Land verbundenen Landwirte, die wir für eine nachhaltige Landwirtschaft brauchen, werden wohl die Hauptleidtragenden sein. Bleibt zu hoffen, dass mit dem Verbot auch ein Strukturwandel in der Landwirtschaft einhergeht und nicht mehr vor allem Fläche subventioniert wird, sondern nachhaltiges Wirtschaften.

(jle)