Wie Unternehmen Seetang anbauen wollen, der Kohlenstoff speichert

In Unterwasserschluchten sinkende Algen könnten eine Menge Kohlenstoff binden. Doch Forscher hadern noch mit Zuverlässigkeit, Skalierbarkeit und Risiken.

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(Bild: Photo by Shane Stagner / Unsplash)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • James Temple
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Es war Ende Januar – wieder einmal – ein Tweet von Elon Musk, der für Furore sorgte: 100 Millionen US-Dollar wolle er bereitstellen, um vielversprechende Technologien zur Kohlenstoffabscheidung zu entwickeln. Dieser Xprize zur Kohlenstoffabscheidung weckte die Hoffnungen von Forschern und Unternehmern gleichermaßen. Auf diesen Tweet folgten Diskussionen unter anderem auf der Audio-App Clubhouse. Schließlich formierte sich ein Kernteam, das das Unternehmen Pull To Refresh gründete. Das Ziel: der Anbau von Riesentang (Kelp) im Meer.

Bislang züchtet Pull To Refresh den Seetang in einem Tank und testet seine Kontrollsysteme auf einem kleinen Fischerboot auf einem nordkalifornischen See. Aber das Unternehmen fordert bereits andere Firmen auf, sich zu melden, wenn sie Tonnen von gebundenem CO₂ möchten, um ihre Treibhausgasemissionen auszugleichen.

Dem CEO von Pull to Refresh, Arin Crumley, zufolge könnten riesige Flotten halbautonomer Schiffe, die Seetang anbauen, rund eine Billion Tonnen Kohlendioxid aufsaugen und in den Tiefen des Meeres speichern und so den Klimawandel umkehren. "Mit einem kleinen Teil des offenen Ozeans", so Crumley, "können wir zu den vorindustriellen Werten des atmosphärischen Kohlendioxids zurückkehren".

Zahlreiche Studien zeigen, dass die Welt bis zur Mitte des Jahrhunderts möglicherweise Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen muss, um eine gefährliche Erwärmung zu verhindern oder diese wieder wettzumachen. Darüber hinaus suchen immer mehr Unternehmen auf dem Markt nach Emissionsgutschriften, um ihre Emissionen auszugleichen und das Ziel der Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Umso dringender sind also Ansätze zur Kohlenstoffentfernung etwa von der Anpflanzung von Bäumen über die Zerkleinerung von Mineralien bis hin zum Bau riesiger CO2-saugender Fabriken.

Kelp ist zu einem besonders aktiven Untersuchungs- und Investitionsbereich geworden. Denn es gibt zunächst bereits eine Industrie, die ihn in großem Maßstab anbaut, und außerdem ist das theoretische Kohlenstoffabbaupotenzial erheblich. Ein von der Energy Futures Initiative zusammengestelltes Expertengremium schätzt, dass Seetang in der Lage ist, etwa 1 bis 10 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr zu binden.

Doch die Wissenschaftler ringen noch mit grundlegenden Fragen zu diesem Ansatz. Wie viel Seetang können wir anbauen? Wie kann sichergestellt werden, dass der größte Teil des Seetangs auf den Meeresboden sinkt? Und wie viel Kohlenstoff wird dort auch lange genug bleiben, um dem Klima wirklich zu helfen? Auch die ökologischen Folgen von Ablagerung von Milliarden Tonnen toter Biomasse auf dem Meeresboden, sind ungewiss.

"Wir haben keinerlei Erfahrung damit, den Meeresboden mit einer solchen Menge an Kohlenstoff zu belasten", sagt Steven Davis, ein außerordentlicher Professor an der University of California, Irvine, der die wirtschaftlichen Aspekte der verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten von Seetang analysiert. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand eine genaue Vorstellung davon hat, was es bedeutet, aktiv in das System in diesem Umfang einzugreifen."

Die wissenschaftlichen Unwägbarkeiten haben jedoch einige Unternehmen weder von kühnen Versprechungen abgehalten noch davon, Emissionsgutschriften zu verkaufen. Wenn in der Praxis nicht so viel Kohlenstoff gebunden wird wie behauptet, könnte dies den Fortschritt beim Klimawandel verlangsamen – oder überbewerten, da die Unternehmen, die diese Gutschriften kaufen, weiter emittieren, mit dem falschen Versprechen, dass die Ozeane diese Verschmutzung Tonne für Tonne ausgleichen.

"Ich denke, dass es für die gesamte Branche sehr hilfreich wäre, wenn diese Forschung von Universitäten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Regierung und nationalen Labors durchgeführt würde, um ein grundlegendes Maß an Vertrauen zu schaffen, bevor wir etwas davon kommerzialisieren", sagt Holly Buck, eine Assistenzprofessorin an der University at Buffalo, die die sozialen Auswirkungen der Kohlenstoffentfernung aus dem Meer untersucht.

Die Wissenschaftler schätzten, dass die Wälder der felsigen Küsten der kalifornischen Monterey Bay jedes Jahr mehr als 130.000 Tonnen Seetang freisetzen. Die meisten Seetang-"Flöße" wurden innerhalb weniger Tage an die Küste der Bucht gespült. Bei den Unterwasserbeobachtungen fanden sie jedoch Bündel von Seetang, die die Wände und den Boden einer angrenzenden Unterwasserschlucht, dem Carmel Submarine Canyon, Hunderte von Metern unter der Wasseroberfläche auskleideten.

Forscherinnen und Forscher haben ähnliche Überreste von Seetang auf dem Meeresboden in Küstennischen auf der ganzen Welt entdeckt. Und es ist klar, dass ein Teil des Kohlenstoffs in der Biomasse über Jahrtausende hinweg erhalten bleibt, denn Seetang ist eine bekannte Quelle für Ölvorkommen.

Ein 2016 in Nature "Geoscience" veröffentlichter Artikel schätzt, dass Seetang jedes Jahr auf natürliche Weise fast 175 Millionen Tonnen Kohlenstoff auf der ganzen Welt bindet, wenn er in die Tiefsee sinkt oder in unterseeische Canyons treibt.

Das ist deutlich weniger als die Menge an Kohlendioxid, die die Welt wahrscheinlich bis Mitte des Jahrhunderts jährlich abbauen muss – ganz zu schweigen von den Mengen, die Crumley und sein Team anstreben. Aus diesem Grund erforschen Pull To Refresh und andere Unternehmen Möglichkeiten, das Wachstum von Seetang radikal zu steigern, sei es auf Offshore-Schiffen oder anderswo.