SpyPhone-Pläne der EU: Abgeordnete warnen vor chinesischen Verhältnissen

Die EU-Kommission arbeitet an einem Gesetz, mit dem flächendeckende Kinderporno-Scans für Kommunikationsanbieter Pflicht würden. Parlamentarier sind dagegen.

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(Bild: Ann in the uk/Shutterstock.com)

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Am heutigen Welttag der Verschlüsselung, dem Global Encryption Day, schlagen 20 EU-Abgeordnete fast aller Fraktionen in einem parteiübergreifenden Brief an die EU-Kommission Alarm: Der für den 1. Dezember von der Brüsseler Regierungsinstitution angekündigte Gesetzentwurf zur verdachtslosen Nachrichten- und Chatkontrolle bedroht ihnen zufolge sichere Verschlüsselung und die IT-Sicherheit allgemein.

Facebook, Google, Microsoft und andere Diensteanbieter können die privaten Nachrichten ihrer Nutzer in der EU seit Kurzem bereits freiwillig rechtmäßig nach sexuellen Missbrauchsdarstellungen von Kindern scannen. Das EU-Parlament hatte dazu im Juli per Eilverordnung Ausnahmen von der Anwendung einiger Bestimmungen der E-Privacy-Richtlinie zum Datenschutz der elektronischen Kommunikation eingeführt.

Die Kommission arbeitet an einem Folgegesetz, um die Chatkontrolle für alle einschlägigen Dienstleister verpflichtend zu machen. In einem guten Monat will sie die Initiative vorstellen. Die Auflagen dürften dann auch für Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal und Threema gelten, die bisher noch durchgehend verschlüsselt sind. Eine flächendeckende Inhaltekontrolle ist bei diesen derzeit nicht möglich. Sie müssten daher möglicherweise ihre kryptografischen Verfahren aufweichen oder "andere umstrittene Lösungen" wie einen Hashabgleich einführen.

Zu den Parlamentariern, die das Schreiben an die sechs zuständigen EU-Kommissare unterzeichnet haben, gehören aus Deutschland Patrick Breyer, (Piratenpartei), Svenja Hahn und Moritz Körner von der FDP, Petra Kammerevert (SPD) und Cornelia Ernst (Die Linke). Sie fürchten im Kommissionsvorhaben einen ähnlichen Ansatz wie bei den hochumstrittenen "SpyPhone"-Plänen von Apple mit Scans direkt auf den Endgeräten der Nutzer.

"Wir sind sehr besorgt, dass private Kommunikation einer Massenüberwachung unterworfen werden könnte und Hintertüren zu Ende-zu-Ende-verschlüsselten Kommunikationsdiensten zwingend vorgeschrieben werden könnten", erklären die Volksvertreter. Eine wahllose und generelle Kontrolle der Online-Aktivitäten aller Menschen "für den Fall der Fälle" verursache verheerende Kollateralschäden: "Sie missachtet den Kern des Grundrechts auf vertrauliche Kommunikation und ist daher weder notwendig noch verhältnismäßig."

Eine solche weitgehende Maßnahme hat laut dem Brandbrief "eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Grundrechte im Internet, auch auf Kinder und Opfer, Minderheiten, LGBTQI-Personen, politische Dissidenten, Journalisten etc." Es handele sich um eine Methode, die bisher nur in autoritären Staaten wie China angewandt werde und "einen Präzedenzfall für die Ausweitung auf andere Zwecke auch in Europa darstellt". Die Auslagerung von Strafverfolgungsaktivitäten an private Unternehmen und deren Maschinen hebe zudem den Schutz auf, der durch die Unabhängigkeit und Qualifikation der öffentlichen Ermittler sowie die institutionelle Aufsicht über ihre Tätigkeit gewährleistet werde.

Die Sicherheit etwa auch von Zeugen und Beamte hänge von einer sicheren Verschlüsselung ab, die ihre vertrauliche Kommunikation schütze, appellieren die Abgeordneten an die Kommission. "Hintertüren können und werden von Kriminellen, ausländischen Geheimdiensten und Kräften missbraucht, die unsere Gesellschaft destabilisieren wollen."

Die vorgesehene massive Überwachung privater Korrespondenz führt den Verfassern zufolge "zu weit verbreiteter Unsicherheit, Misstrauen und Unruhe unter Bürgern und Unternehmen", bevor sie höchstwahrscheinlich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Lichte seiner Rechtsprechung annulliert werde. Sie verweisen auf eine bisher unveröffentlichte Analyse des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags, in der es heißt: Der Verweis auf eine "latente Dauergefahr" der Begehung auch schwerwiegender Straftaten "dürfte zur Rechtfertigung einer ständigen und umfassenden automatisierten Analyse wohl nicht genügen".

Die Abgeordneten erinnern an den "öffentlichen Aufschrei", als Apple im August ankündigte, wahllos persönliche Fotos auf den Geräten der Endnutzer nach verdächtigen Inhalten zu durchsuchen. Über 90 Organisationen hätten den US-Konzern zur Kehrtwende aufgefordert, da es rasch auch um andere Bilder gehen dürfte, "die eine Regierung für bedenklich hält". Vor Kurzem kritisierten renommierte Sicherheitsexperten den Vorschlag als "weitaus heimtückischer als frühere Vorschläge zur Schlüsselhinterlegung" und anderen "speziellen" Zugängen zum Klartext. Apple legte die Initiative zunächst auf Eis.

Dem Brief nach hat die Schweizer Bundespolizei eingeräumt, dass 86 Prozent aller automatisch generierten US-Meldungen über angeblich illegale Inhalte in Wirklichkeit kein strafrechtlich relevantes Material enthielten. Das bedeute, dass schon jetzt jeden Monat tausende unschuldige Bürger fälschlicherweise bei der Polizei gemeldet würden. Selbst echte positive Treffer führten regelmäßig zur Kriminalisierung von Kindern. In Deutschland etwa zielten 30 Prozent aller strafrechtlichen Ermittlungen wegen Kinderpornografie auf Minderjährige.

(mho)