Ampel-Digitalpolitik: Bürgerrechte gestärkt, Digitalisierungsziele schwammig

Die Ampel stellt die Digitalisierung im Koalitionsvertrag nach vorn, bleiben inhaltlich aber im Ungefähren. Immerhin werden sie bei den Bürgerrechten konkret.

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(Bild: Peshkova / shutterstock.com)

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Was in Deutschland digitalpolitisch schiefläuft, demonstrierte die alte Bundesregierung noch kurz vor der Wahl: Da veröffentlichte das Bundeskanzleramt eine App für digitale Ausweise namens ID-Wallet und fuhr damit dem eigentlich für das Thema zuständigen Innenministerium in die Parade. Obendrein ignorierte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) eine Warnung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, das die App für unsicher erklärt hatte.

Es kam, wie es kommen musste: Wenige Tage nach dem Start zerpflückten Sicherheitsexperten die App in aller Öffentlichkeit, Brauns Projektteam zog sie kleinlaut zurück. Doch das Vertrauen der Bürger in den Staat war da bereits beschädigt – weil Eitelkeiten und Kompetenzgerangel ganz offensichtlich mehr zählten als ein durchdachtes Konzept.

Ampel-Chefs Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) und Robert Habeck (Grüne): Wer die Digitalisierung steuert, bleibt offen.

(Bild: Kay Nietfeld/dpa)

Eine fundierte Digitalpolitik aus einem Guss, so lautet deshalb der Wunsch vieler Experten an die nächste Bundesregierung. Doch der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP bleibt bei diesem Thema vage: Die Digitalkompetenzen in der Bundesregierung sollen "neu geordnet und gebündelt" werden, schreiben die Partner, lassen aber komplett offen, was sie damit meinen.

Klar ist, dass die Ampel kein neues Digitalministerium einrichtet. Stattdessen will sie das bisherige Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zu "Verkehr und Digitales" aufwerten. Das künftig FDP-geführte Haus wird aber kein Superdigitalressort. Es könnte einige Kompetenzen zum Beispiel des Wirtschaftsministeriums übernehmen, doch die wichtige Digitalisierung der Verwaltung bleibt laut SPD im Innenministerium. Auch andere Ressorts dürfen weiterhin Digitalthemen beackern.

Der Wirtschaftsverband Bitkom hofft, dass das Verkehrsministerium zumindest übergreifend steuert: "Nun muss sich zeigen, dass es auch in der Praxis mit allen Rechten und Ressourcen ausgestattet wird, um die Digitalisierung zu konzertieren und voranzutreiben." Die Ampel selbst verliert dazu im Vertrag aber kein Wort. Auch sonst deutet sie das Thema Steuerung nur an: Die Föderale IT-Kooperation (Fitko), eine Schaltstelle zwischen Bund und Ländern, soll mehr Geld bekommen. Der Bundes-CIO, der im Innenministerium arbeitet und der aus der Sicht mancher Experten gestärkt werden sollte, wird im Vertrag nicht einmal erwähnt.

Das bislang ohnehin eher repräsentative Amt der Digital-Staatsministerin (bislang Dorothee Bär, CSU) fehlt in der Liste der Staatsminister, fällt also anscheinend weg. Ansonsten gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass die Ampel Strukturen straffen will, zum Beispiel durch Zusammenlegung von Behörden wie der Bundesnetzagentur und der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft, die sich gegenseitig auf die Füße treten. Dabei wäre das nach Ansicht vieler Experten dringend nötig. "Es gibt zu viele Behörden, zu viele Gremien, zu viele Arbeitskreise", klagt ein hoher Bundesbeamter hinter vorgehaltener Hand.

Auch was die Finanzierung angeht, bleibt die Ampel schwammig. Sie will "ein zentrales zusätzliches Digitalbudget", nennt aber keine Summe und keinen Verantwortlichen. Zeitliche Ziele sucht man ebenfalls vergeblich. Weder bei der Digitalisierung der Verwaltung noch beim Breitbandausbau sagen die künftigen Koalitionäre, was bis wann passieren soll.

Auch beim Thema Föderalismusreform formulieren sie vorsichtig: Sie wollen zwar mit den Bundesländern darüber sprechen, nennen aber keinen Zeitrahmen. Im Bereich Bildung wollen sie den Ländern mit einem "Digitalpakt 2.0" Mittel für Hardware, Wartung und Administration zur Verfügung stellen.

Immerhin: Einige Ziele klingen auch ohne Zeitrahmen ehrgeizig. Die Ampel will alle Gesetze auf Digitaltauglichkeit prüfen, Schriftformerfordernisse mit einem Federstrich abschaffen und Begriffe wie "Einkommen" vereinheitlichen, wodurch Anträge – etwa auf Kindergeld – einfacher werden sollen. Langfristig sollen staatliche Leistungen sogar "automatisch ausgezahlt werden". Vorbild sind E-Government-Vorreiter wie Dänemark.

Insgesamt wirkt das Digitalkapitel aber dünn, vor allem, wenn man bedenkt, dass es im Vertrag ganz vorne steht – noch vor dem Klimaschutz.

Während die Ampelpartner bei der Digitalisierung des Staates vage bleiben, machen sie in puncto Bürgerrechte und IT-Sicherheit klare Ansagen und kommen Forderungen aus der Zivilgesellschaft entgegen. Die Handschrift von Grünen und FDP ist hier klar erkennbar.

Anders als CDU und CSU will die Ampel zum Beispiel keine Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, keine Klarnamenpflicht in sozialen Netzen und keine staatlichen Gegenangriffe auf Hacker ("Hackbacks").

Auch beim Thema Verschlüsselung setzen die Drei sich von der Union ab: Statt Hintertüren für Ermittler wollen sie ein "Recht auf Verschlüsselung". Um dieses mit Leben zu füllen, sollen Behörden "die Möglichkeit echter verschlüsselter Kommunikation" anbieten – also ein System mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anstelle der für Ermittler mitlesbaren De-Mail. "Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation", wie die EU-Kommission sie plant, lehnt die Ampel ab.

Auch beim Thema Sicherheitslücken folgt die Ampel den Forderungen von Organisationen wie dem Chaos Computer Club: Ermittler und Nachrichtendienste sollen keine Lücken mehr zurückhalten dürfen, sondern diese dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik melden. Dieses soll sich "immer um die schnellstmögliche Schließung bemühen". Der Gesellschaft für Freiheitsrechte geht das nicht weit genug: Es müsse auch verboten werden, dass Behörden private Unternehmen als Hacker beauftragen – wie beim Pegasus-Trojaner.

Anders als die alte Bundesregierung will die Ampel der Bundespolizei nicht erlauben, Smartphones und Computer mit Staatstrojanern zu infiltrieren – zumindest "solange der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht sichergestellt ist". Das Trio geht aber nicht so weit, BND und Verfassungsschutz die Staatstrojaner wieder aus der Hand zu nehmen.

Auch von der umstrittenen und derzeit ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung verabschiedet sich die Ampel nicht komplett. Sie will sie aber so entschärfen, "dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können". Provider könnten also künftig vermutlich die Masse an Verbindungsdaten wieder löschen, sobald sie diese nicht mehr für Abrechnungszwecke benötigen, und müssten nur Daten Einzelner auf Zuruf von Ermittlern länger speichern ("Quick Freeze"-Konzept).

Kombinieren will die Ampel dieses System mit einer neuen "Login-Falle", die vom SPD-nahen Verein D64 vorgeschlagen wurde. Dabei sollen Betreiber sozialer Netzwerke auf Wunsch der Polizei die IP-Adresse von Verdächtigen übermitteln, sobald diese sich erneut einloggen. Ermittler könnten dann mithilfe der Provider an Namen und Anschrift kommen.

Ein Erfolg vor allem der Grünen ist die Aussage im Koalitionsvertrag, dass der Bund künftig Software "in der Regel" als Open Source in Auftrag geben soll – ein Bekenntnis, das Schlupflöcher offen lässt, aber ein großer Fortschritt ist im Vergleich zum letzten Koalitionsvertrag von Union und SPD, wo das Thema Open Source nicht einmal erwähnt wurde.

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(cwo)