Überwachen statt Löschen: Ermittler lassen Missbrauchsbilder oft online

In Deutschland gilt die Weisung, Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs im Netz schnellstmöglich zu löschen. Die Polizei folgt der Ansage aber häufig nicht.

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(Bild: PORTRAIT IMAGES ASIA BY NONWARIT/Shutterstock.com)

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"Löschen statt Sperren" lautet die politische Maxime hierzulande im Kampf gegen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs, seit die frühere Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor gut zehn Jahren mit ihrem Plan für den Aufbau einer Zensurinfrastruktur im Internet scheiterte. Die Bundesregierung gibt zur Umsetzung dieses Prinzips jedes Jahr einen Bericht heraus. Doch der Polizei fehlen nach eigener Darstellung die Kräfte, um die Vorgabe angemessen umzusetzen.

Hauptproblem ist laut Recherchen von ARD und Spiegel das Darknet. Pädokriminelle-Netzwerke wie die im April von deutschen Behörden abgeschaltete Plattform "Boystown" nutzen demnach den weitgehend abgeschotteten Teil des Internets. Sie veröffentlichen in einschlägigen Foren aber nur – in der Regel passwortgeschützte – Download-Links für die illegalen Aufnahmen, die sie auf gängigen Speicherdiensten verschlüsselt ablegen. Die Hosting-Provider wissen meist nichts von der Brisanz der abgelegten Materialien.

Im Fall "Boystown" liegen die einschlägigen Links den Strafverfolgern den Berichten zufolge vor, seien den Speicheranbietern aber offenbar bis heute nicht gemeldet worden. Fotos und Videos schlimmster Verbrechen an Kindern blieben so weiter online. Dies hätten einzelne Betreiber auch bestätigt.

Hans-Joachim Leon, Leiter der Gruppe "Gewalt- und Sexualdelikte" im Bundeskriminalamt (BKA), räumte gegenüber den Reportern ein, dass es zwar ein "essenzieller Auftrag auch an die Strafverfolgungsbehörden" sei, Missbrauchsdateien aus dem Netz entfernen zu lassen. Gerade im Darknet ließen sie aber nicht löschen. "Unsere Ermittlungen sind täterorientiert", begründete dies der Beamte. "Wir versuchen, die User zu bekommen. Wir sammeln keine Links ein." Leon habe auf die personellen Ressourcen verwiesen, die das Melden der Inhalte in Anspruch nähme. Diese fehlten dann anderswo.

Bis jetzt war nur bekannt, dass Fahnder einschlägiges Material in Einzelfällen online lassen, um eine Falle für potenzielle Nachfrager zuschnappen zu lassen. Das Ressourcenargument scheint den Berichten zufolge auch vorgeschoben: So konnten NDR-Journalisten zeigen, "dass schon mit überschaubarem Aufwand in kurzer Zeit riesige Mengen in den Darknet-Foren entfernt werden könnten". In einem Forum seien rund 80.000 Links erhoben und an die Betreiber gemeldet worden. Auf allen angeschriebenen Diensten im In- und Ausland seien die zugehörigen Inhalte binnen Stunden oder maximal zwei Tagen gelöscht worden.

Laut dem jüngsten Löschbericht der Regierung erfassten das BKA und Internet-Beschwerdestellen 2020 insgesamt 6821 Hinweise zu Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs im Web statistisch. 2019 waren es 7639 Eingaben gewesen. Von den im Inland bereitgehaltenen Inhalten konnten daraufhin binnen einer Woche nahezu alle aus dem Web entfernt werden (98,6 Prozent). Wegen des komplexeren Verfahrensablaufs und der größeren Anzahl beteiligter Stellen dauerte das Löschen im Ausland etwas länger. Nach vier Wochen betrug die Löschquote hier erneut 81 Prozent.

99 Prozent der durch die Kooperationspartner weitergeleiteten Hinweise stammten von Beschwerdestellen wie der des eco-Verbands der Internetwirtschaft. Die Polizei selbst meldete demnach von sich aus so gut wie keine einschlägigen Inhalte.

Das Konzept "Löschen statt Sperren" sei "insgesamt wirkungsvoll", begrüßte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Sommer die Resultate. "Bild- oder Videomaterial, das Verbrechen an Kindern dokumentiert", dürfe "unter keinen Umständen dauerhaft online abrufbar sein", ergänzte Innenminister Horst Seehofer (CSU). "Die Löschung ist daher unverzichtbar".

Auf die Ermittler wird im kommenden Jahr deutlich mehr Arbeit zukommen. Laut dem "Anti-Hass-Gesetz" müssen Anbieter sozialer Netzwerke nach einer Beschwerde über rechtswidrige Inhalte einschließlich Missbrauchsdarstellungen diese nicht mehr nur löschen, sondern in schweren Fällen auch dem BKA mitsamt IP-Adresse und Port-Nummer des Nutzers melden. Zudem hat der Gesetzgeber die Straftatbestände und -rahmen rund um sexuellen Kindesmissbrauch deutlich ausgeweitet.

Mit Blick auf Missbrauchsdarstellungen arbeitet die EU-Kommission zudem an gesetzlichen Vorgaben, um eine verdachtsunabhängige und flächendeckende Nachrichten- und Chatkontrolle auch bei durchgehend verschlüsselten Messenger-Diensten wie WhatsApp, Signal und Threema mit entsprechenden Inhalte-Scans einzuführen. Die Innenminister nicht nur der EU-Staaten begrüßten jüngst das heftig umstrittene Vorhaben.

(bme)