Das Wunder von Shenzhen: Wie Huawei trotz Sanktionen zu "Rekordgewinn" kommt

US-Sanktionen scheinen Huawei nichts anzuhaben. "Unsere Fähigkeit, Profit zu machen und Cashflow zu generieren, steigt", jubelt die Finanzchefin.​

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Plastik mit Huawei-Logo und -Schriftzug vor Bürogebäude

(Bild: Rad K/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Umsatzeinbruch von 29 Prozent musste Huawei 2021 hinnehmen. Kein Wunder, ist der chinesische Konzern doch US-Sanktionen ausgesetzt und kann keine neue Hard- noch Software aus den USA und einigen anderen westlichen Ländern beziehen. Auch die Exporte sind eingeschränkt. Dennoch meldet die Konzernzentrale in Shenzhen eine geringere Schuldenquote, um 68 Prozent gestiegenen Betriebsgewinn und gar um 76 Prozent höheren Reingewinn für 2021.

Geht Huaweis Rekordgewinn trotz Umsatzeinbruchs als Wunder von Shenzhen in die Geschichtsbücher ein? Schlagen die wackeren Chinesen den technik-geizigen Amis ein Schnippchen? Erweisen sich die Exportverbote als Bumerang, der das US-Exportgeschäft schädigt, während Huawei gleichzeitig mehr Geld druckt als je zuvor?

Eine Analyse von Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov schreibt seit 2002 für heise online, anfangs aus Wien. Seit 2012 versucht er als Nordamerika-Korrespondent von heise online, Kanadier und US-Amerikaner zu verstehen und ihr Wesen begreiflich zu machen.

Ja, wenn man der Pressemitteilung Glauben schenkt: "Trotz Umsatzrückgangs im Jahr 2021 steigt unsere Fähigkeit, Profit zu machen und Cashflow zu generieren", zitiert sie Huawei-Finanzchefin Wanzhou Meng, "Wir sind besser in der Lage, mit Unsicherheit umzugehen." "Dank der verbesserten Profitabilität ihrer wichtigsten Geschäftszweige ist der Cashflow der Firma aus dem Geschäftsbetrieb 2021 dramatisch gestiegen", heißt es in der Pressemitteilung weiter. Die Finanzstruktur des Konzerns sei "widerstandsfähiger und flexibler" geworden.

Nein, wenn man den Jahresbericht analysiert. Tatsächlich ist letztes Jahr viel Geld auf Huaweis Konten geflossen – weil Huawei sich von zwei bedeutenden Konzernteilen getrennt hat. Der im November 2020 angekündigte Verkauf der Smartphone-Tochtermarke Honor wurde 2021 umgesetzt. In dem Berichtsjahr angekündigt und durchgeführt wurde außerdem der Verkauf der Tochterfirma xFusion, die Server herstellt und verkauft. Unter dem Dach Huaweis hätten diese Töchter weder Chips noch Software mit aktueller US-Technik mehr bekommen.

Die US-Sanktionen haben diese Verkäufe erzwungen. Wie viel Geld sie am Ende des Tages einbringen werden, weiß Huawei selbst noch nicht. Für 2021 hat der Konzern erst einmal 57,4 Milliarden Yuan (rund 8,2 Milliarden Euro) Verkaufserlös verbucht. Das ist fast das Hundertfache der Erlöse aus dem Verkauf von Tochterfirmen des Jahres 2020. Gleichzeitig hat sich Huawei keinen einzigen Zukauf mehr geleistet (nach einem Zukauf für 596 Millionen Yuan im Jahr 2020).

Überraschend ist, dass Huawei diese 57,4 Milliarden Yuan Verkaufserlöse zwar als Sonstige Einnahmen deklariert, dann aber dem Betriebsgewinn zurechnet. Durch Drehen an einigen weiteren, kleineren Schrauben kommt Huawei auf rund 61 Milliarden Yuan Sonstige Einnahmen – ein Zuwachs von 8.686 Prozent. So ergibt sich rechnerisch ein um gut zwei Drittel auf 121,1 Milliarden Yuan gestiegener "Betriebsgewinn".

Da fast die Hälfte davon einmalige Verkaufserlöse sind, kann aus diesem Rekord nicht auf gesundes Gedeihen des Konzerns geschlossen werden. Im Gegenteil, Huawei muss die Flucht nach Vorne antreten und sich neue Geschäftsfelder suchen. Das erklärt die enormen Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die auf 22,4 Prozent des Umsatzes gestiegen sind.

Zum Vergleich: Ende 2021 hat eBay den Mehrheitsanteil an seinem Korea-Geschäft verkauft. Außerdem hat der Verkauf eines Pakets Adevinta-Aktien Milliarden in die Kasse gespült. Anders als Huawei rechnet eBay diese Erlöse nicht dem Betriebsgewinn hinzu. Vielmehr wird der Betriebsgewinn (Income from operations) ermittelt, dann werden Verluste aus Wertpapiergeschäften, gezahlte Zinsen sowie Rückstellungen für Steuern abgezogen, um den Gewinn aus fortgeführten Tätigkeiten zu bestimmen.

Erst danach addiert eBay den Nettoerlös aus nicht fortgeführten Tätigkeiten (Income from discontinued operations, net of income taxes) hinzu, um den Nettoerlös des Konzerns zu bestimmen. So transparent kann man Buchhalten, wenn man will.

Dass Huaweis Verbrauchergeschäft um die Hälfte eingebrochen ist, überrascht niemanden. Der Mangel an US-Chips und -Software macht Huawei-Smartphones auch im Inland weniger attraktiv. Der Beitrag des Verbrauchergeschäfts zum Konzernumsatz ist von 54 Prozent auf 38 Prozent geschrumpft. Dienste für Großkunden (Enterprise) sind um zwei Prozent leicht gewachsen – nett, aber bescheiden im Vergleich zu dem Plus von 23 Prozent im Jahr 2020.

Um sieben Prozent gefallen sind die Einnahmen aus Verkäufen an Netzbetreiber. Das muss konsternierend sein für die Eigentümer, wer immer sie sein mögen. Denn der Weltmarkt für Netzwerkausrüstung wächst kräftig, und Huaweis Heimatmarkt China ist riesig. Außerdem gibt es weitere autokratische Länder, die kein Problem mit dem Einkauf bei Huawei hätten, wenn Leistung und Preis stimmen.

Doch gerade im Heimatmarkt China muss Huawei Federn lassen: Die Umsätze in der Volksrepublik sind um 31 Prozent eingebrochen. Huaweis Auslandsumsätze stehen mit einem Minus von 24 Prozent vergleichsweise gut dar. Das zeigt: Einerseits haben chinesische Netzbetreiber den Großteil ihres 5G-Netzaufbaus schon 2020 abgeschlossen, andererseits wirken sich die US-Sanktionen auf das Inlandsgeschäft aus. Die Chips machen die Musik.

Huawei muss mit chinesischen Computerchips das Auskommen finden. Die können mit ausländischen Chips noch nicht mithalten. Der Konzern möchte diesen Wettbewerbsnachteil mit neuer, besserer Software wettmachen, und investiert entsprechend in deren Entwicklung. Das hat hohe Chance auf Erfolg, sofern die Konkurrenz ihre jeweilige Software lässt, wie sie gerade ist.

Wahrscheinlicher ist, dass andere Anbieter auf Kombinationen aus besseren Chips und fortschreitender Software setzen. Und so dürfte das Wunder von Shenzhen ausbleiben.

(ds)