Vom Mehrwert digitaler Güter

GNU- und FSF-Begründer Richard Stallman sieht im Digital Rights Management totalitäre Ansätze zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten.

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Von
  • Richard Sietmann

Das Copyright entstand mit dem Papierdruck und regulierte das Verhältnis von Urhebern und Verlegern; auf die Welt der Computernetze lässt es sich nur mit drastischen Einschränkungen der Nutzerrechte übertragen und durch Kontrollen sowie drakonische Strafandrohungen durchsetzen -- meint Richard Stallmann. "Nur ein totalitärer Polizeistaat ist in der Lage, so etwas zu tun", erklärte der Schöpfer des legendären Emacs Editors und Gründer des GNU-Projekts gestern auf dem Symposium Allianz des Wissens -- Wirtschaft und Wissenschaft auf dem Weg in die Wissensgesellschaft an der Humboldt-Universität Berlin, initiiert vom Berlin-Brandenburger Graduiertenkolleg Verteilte Informationssysteme.

Unter anderen Vorzeichen, so Stallmans Analyse, begäben sich die USA als Vorreiter der mit dem Digital Millennium Copyright Act (DMCA) gesetzlich sanktionierten DRM-Systeme ins Fahrwasser der vormaligen Sowjetunion. Diese habe den Druck und den Vertrieb von Werken scharf kontrolliert, harte Strafen verhängt und Informanten zur Denunziation von Verstößen ermuntert. Dieselben Mechanismen sieht Stallman nun in den USA entstehen. "Die Business Software Alliance agiert inoffiziell, als wäre sie die Informationspolizei -- sie gehört abgeschafft", forderte der langjährige Verfechter freier Software. "Wenn wir eine funktionierende Demokratie hätten", so Stallman, würden die Bürger aufbegehren; bislang aber könne die US-Regierung nahezu ungehindert die Interessen der Großkonzerne vertreten. Und die europäischen Länder seien mit der Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie im Begriff, ihr darin zu folgen.

"Wir können die EU-Richtlinie nicht unverändert lassen", meint auch der Konstanzer Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen. Sie werde die Konflikte zwischen Urhebern, Medienhäusern und Nutzern nicht lösen. Ihre innere Widersprüchlichkeit zeigt sich zum Beispiel darin, dass die DRM-Verfechter stets vom Schutz der Urheber sprechen, in Wirklichkeit aber ihre eigenen Verwertungsinteressen meinen. "Hier ist eine Ideologisierung eingetreten", beschreibt Kuhlen die Lage, "die Wirtschaft sieht sich voll im Mainstream der Gesellschaft".

Digital Divide einmal anders. Welche Gräben die Debatte durchziehen, verdeutlichte Willms Buhse von der Bertelsmann-Tochter Digital World Services: "Der Aufbau eines Digital-Rights-Management-Systems ist die Grundlage für den geschützten Vertrieb von Medieninhalten. Piraterie und die Legalisierung von Piraterie", wie beispielsweise durch die Einführung von Pauschalabgaben auf Computer, würden die Geschäftsmodelle der Inhalteanbieter gefährden.

Der Medienindustrie ginge es doch nur um Besitzstandswahrung, wurde ihm jedoch in der Diskussion vorgehalten. "New Economy heißt, dass alte Wertschöpfungsketten aufgebrochen werden", meinte ein Teilnehmer. So ermögliche das Internet den Eins-zu-Eins-Vertrieb vom Produzenten zum Konsumenten und damit die Ausschaltung des Zwischenhandels. Dazu sei es zweifelhaft, ob der Gesetzgeber dazu berufen sei, die alten Strukturen zu konservieren. "Diese Argumentation tut so, als ob die Inhalte immer schon da sind", wehrte sich Buhse. Tatsächlich würde gerade die Musikindustrie sehr viel investieren, um Künstler aufzubauen -- rund die Hälfte des Erlöses einer CD gingen in das Marketing und den Vertrieb. Der Mehrwert, den die Branche generiert, liege in der Fähigkeit der Firmen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf einen bestimmten Künstler zu fokussieren.

Eine ganz andere Sichtweise auf die New Economy offerierte schließlich Franz Josef Rademacher vom Ulmer Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) zum Abschluss der Veranstaltung. Sie sei ein klassisches Kettenbriefspiel gewesen. "Die sind gesetzlich verboten", merkte er lakonisch an. "An deregulierten Börsen sind sie erlaubt". In Wirklichkeit wachsen Ökonomien nun einmal sehr langsam, "weil der Suchprozess für Innovationen sehr teuer ist". Wer sich darüber hinwegsetzen wolle, müsse die Leute motivieren, sich an dem Spiel zu beteiligen, und ihnen eine Story erzählen, wie sie gewinnen könnten: "Das ist die Story von der Wissensgesellschaft". Aber in der Wirtschaft zählt nur das Wissen, wie man anderen Leuten das Geld aus der Tasche zieht. Daran werde offensichtlich, "dass das Teilen von Wissen wertlos ist". Wer nun beklage, dass in der Börsen-Hype viel Kapital verbrannt worden sei, verkenne diese Mechanismen. "An den Börsen geht ja kein Geld verloren", erinnerte Rademacher, die Börse sei "eine wunderbare Methode der Umverteilung". (Richard Sietmann) / (anw)