Anwohner nennen sie Tur Tur – bei Dahle ragen die Windräder in neue Höhen

Am Deister, bei Dahle, wurden mit die ersten Nordex-Windräder des Typs N163/5.7 in Deutschland aufgestellt. Es wurde schon gefeiert, ein Teil fehlt aber noch.

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Ein Windrad in Dahle

Bei der Siedlung Dahle steht der Riese Tur Tur – so nennen Anwohnerinnen und Anwohner den Windpark Dahle nun. Der eigentlich friedliche und empathische Scheinriese aus der Erzählung "Jim Knopf" von Michael Ende mache zunächst wegen seiner Größe Angst, ist aber hilfsbereit.

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Die Energiewende ist in den vergangenen Jahren zwar ins Stocken geraten, bisweilen findet sie nun aber direkt vor der eigenen Haustür statt. Bis ins Windrad hinein durften Besucher vordringen bei einem offenen Einweihungsfest am Rande der Region Hannover.

Bei der Siedlung Dahle, gelegen zwischen der Stadt Springe und der Stadt Bad Münder, wurden innerhalb weniger Monate zwei Windräder des Typs N163/5.7 der Firma Nordex aufgestellt. Es sind – nach einem Testmodell in Schleswig-Holstein – die ersten Windkraftanlagen dieser Art in Deutschland. Sie sind 245 Meter hoch und sollen pro Windrad 5,7 Megawatt Leistung erbringen. Umgerechnet auf ein Jahr würden mehr als 16.000 Menschen mit Strom versorgt, erklären die Betreiber.

Starten können sie allerdings nicht wie anvisiert. Auf einer schon länger geplanten Einweihungsfeier konnten sich Interessierte an diesem Mittwoch die Windräder zwar aus der Nähe ansehen, aber aufgrund von Lieferproblemen wird der Park wohl erst Mitte Juli den ersten Strom ins Netz einspeisen können. Geplant war der Beginn zunächst für April, dann zu Ende Juni – nach einer Gesamtprojektdauer von sieben Jahren.

Während des Einweihungsfests wird der Erfolg trotzdem gefeiert. Das Projekt bei Dahle wurde nicht blockiert, die Verwaltungen des Landkreises Hameln-Pyrmont arbeiteten gut mit. Nicht einmal durch Corona habe es dort Verzögerungen gegeben.

Hier sei oft ein Nadelöhr zu finden, erklärt einer der Geschäftsführer der Landwind-Gruppe, Alexander Heidebroek. In den Behörden säßen zum Teil zu wenige Menschen, die ihren Stempel unter die Projekte setzen könnten. Das merkten aber nicht nur Betriebe wie Landwind, sondern auch Schulen, die beispielsweise gerne einen Internetanschluss oder Luftfilteranlagen hätten.

Auch das Planungsverfahren von Dahle hätte schiefgehen können. Wie Heidebroek aber erzählt, sei hier alles gut gegangen. Allein für Dahle musste mit 19 Grundstückseigentümern gesprochen werden, damit das Projekt durchgeführt werden konnte. Dazu zählten etwa Kirchen, eine Stiftung und ein Tierschutzverein.

Im Festzelt dankt Alexander Heidebroek allen Beteiligten. Besonders einen nun in Rente gehenden Mitarbeiter des Landkreises Hameln-Pyrmont ehrt er. Gäbe es mehr Fachkräfte wie Herrn Holweg, "wären wir bei der Energiewende schon ein ganzes Stück weiter", sagt er.

(Bild: Kristina Beer/heise online)

Zudem sind viele verschiedene Gewerke Teil des Windparkbaus. Während seiner Dankesrede zählt Heidebroek sie alle auf. Vermessungsbüros, eine Grundbaufirma, Sicherheits- und Gesundheitskoordinatoren, Gutachter, Landschaftsbauer, Speditionen und weitere Subunternehmer.

Ein Unfall mit zwei Verletzten habe die Bauarbeiten überschattet. Die Betroffenen seien aber mittlerweile auf dem Weg der Genesung.

Mit der Errichtung des Windparks ist für die Landwind-Gruppe die Arbeit vor Ort allerdings nicht zu Ende. Das Unternehmen hat passend zur Einweihung des Parks eine Energiegenossenschaft gegründet, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen soll, Anteile am Windpark zu halten.

Hier wird also umgesetzt, was Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und andere Politikerinnen und Politiker seit längerer Zeit für die Energiewende vorsehen. Menschen werden zu Prosumern; Konsumenten und Produzenten. Sie stellen Energie selbst her, werden Anteilseigner und Netzeinspeiser, nutzen den Strom aber auch für den eigenen Verbrauch. So wird die Energieerzeugung dezentralisiert und mehr in Bürgerhände gelegt. Beteiligte können auf diese Weise auch von wesentlich günstigeren Energiepreisen profitieren.

Die beiden hohen Anlagen auf ein Foto zu bekommen, ist nicht ganz leicht. Beim Besuch von heise online gelang das nicht gut. Hier hat die Neue Deister Zeitung ausgeholfen, die regelmäßig über das Projekt berichtet.

(Bild: Neue Deister Zeitung)

Durch dieses Modell der Bürgerbeteiligung hofft die Politik unter anderem Vorurteile und Widerstände gegen Windräder in der Bevölkerung abzubauen und mehr Flächen für Windparks zu gewinnen.

Laut Heidebroek werde für Anteilseigner der "LandEnergie Bürger eG" eine jährliche Rendite von etwa 3 bis 6 Prozent möglich sein. Menschen können ab einem Einsatz von 2000 bis zu 20.000 Euro mitmachen. Der Zulauf sei jetzt schon ohne Werbung sehr groß.

Da Landwind nicht nur den Windpark bei Dahle betreibt, ist die Investition gut abgesichert. Das Unternehmen plant und betreut seit dem Jahr 2001 Windenergie-Projekte. Sollte es Probleme mit einem der Windräder geben, betreibt Landwind immer noch rund 120 Räder, die sich weiter drehen und Energie erzeugen können. 30 bis 40 Anlagen sind überdies bisher in der Planung für die kommenden vier Jahre.

Auch für die Akzeptanz der umliegenden Gemeinden setzt sich die Landwind-Gruppe ein. Das bedeutet für die Gemeinden Bad Münder und Springe jährlich jeweils circa 25.000 Euro als Akzeptanzabgabe. Die Möglichkeit einer solchen Abgabe an die Kommunen sei mit dem EEG 2021 geschaffen worden. 95 Prozent der Gewerbesteuern für Bad Münder kämen dann noch hinzu.

Sowohl Springe als auch Bad Münder wird das sicherlich freuen, gab es doch in der Vergangenheit sogar einen Streit um die nun genutzte Fläche. Der Windpark steht nämlich wesentlich näher an Springer Wohnbebauung als an Münderscher – der Park liegt aber noch auf dem Gebiet von Bad Münder. Springe sah sich bei dieser Konstellation zunächst benachteiligt. Von diesen Querelen ist während der Einweihungsfeier allerdings nichts mehr zu spüren.

Kleinere Windräder gehörten früher viel mehr zum Landschaftsbild, da gehörten sie allerdings zu Mahlwerken.

(Bild: Detlef Erasmus/Neue Deister Zeitung)