Studie: Soziales Selbstbild und Stereotype halten Mädchen von Informatik fern

Bei bundesweiten Informatikwettbewerben sinkt die Mädchenbeteiligung bis zur Endrunde massiv. Forscher fordern, die Idee der sozialen Gemeinschaft zu stärken.

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(Bild: Photoroyalty/Shutterstock.com)

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Der Anteil von Mädchen und Frauen in den Bereichen Mathematik, Informatik & Naturwissenschaft (MINT) ist nach wie vor gering. Eine Studie des Nexus-Instituts im Auftrag der staatlich geförderten Bundesweiten Informatikwettbewerbe (BWINF) zeigt nun, dass vor allem das eigene soziale Selbstbild bei Mädchen in höheren Jahren sowie Klischees über "Computerfreaks" zunehmend im Konflikt mit dem zunächst gegebenen Interesse an Informatik stehen.

Die Teilnahmezahlen der Wettbewerbe zeigen, dass das Interesse an der Informatik bei Jüngeren noch gleichmäßig verteilt ist: Im sehr niederschwelligen "Informatik-Biber", an dem im vorigen Jahr 430.000 Schüler teilgenommen haben, liegt der Mädchenanteil in den Klassenstufen 5 und 6 bei 50 Prozent. In der Oberstufe reduziert er sich bereits auf 35 Prozent. Beim Jugendwettbewerb Informatik mit zuletzt 35.000 Teilnehmern sind im Finale lediglich 23 Prozent weiblich. Im Leistungsbereich – dem Bundeswettbewerb Informatik mit etwa 1.600 Mitmachern – geht der Anteil der Frauen von 15 Prozent im ersten Durchgang auf sieben Prozent in der Endrunde zurück.

Das Nexus-Institut befragte über 3.000 BWINF-Teilnehmer zwischen zehn und 21 Jahren und untersuchte die Gründe für das nachlassende Interesse von Mädchen, das bei Jungen im Laufe des Heranwachsens dagegen steigt. Die Forscher fanden dabei unter anderem heraus, dass mehr weibliche Jugendliche an den Wettbewerben teilnehmen, wenn bereits andere Mädchen aus der Klasse dabei sind. Gemeinschaft spielt für sie eine große Rolle – genauso etwa wie die Vorbildfunktion enger Kontaktpersonen.

Im Umkehrschluss kann – zumindest unterbewusst – ein sich selbst verstärkender Ausstiegseffekt eintreten, wenn Klassenkolleginnen bei den spielerischen Wettstreits nicht mehr mitmachen. Mangelnde Unterstützung von Lehrkräften, wenig Teamarbeit und wenig Förderung an der Schule erschweren es laut den Antworten, das Interesse der Mädchen zu wecken beziehungsweise zu erhalten. Auch ein geschlechterspezifisches Selbstbewusstsein wirkt sich aus: Mädchen sind in allen drei Wettbewerben stärker als Jungen überrascht, wenn sie gute Ergebnisse erzielen.

Ferner wirken sich Stereotype rund um die Informatik unterschiedlich auf beide Geschlechter aus. Das weitverbreitete Nerd-Klischee, wonach Hardcore-Computernutzer wenig soziale Kontakte haben und den ganzen Tag am Gerät sitzen, wirkt sich zwar prinzipiell negativ auf die BWINF-Teilnahme aus. Dieser Effekt macht sich bei Mädchen aber stärker bemerkbar, was Resultate einer früheren Studie bestätigt. Das Stereotyp "Erfolg", das mit Intelligenz und Wohlstand verbunden wird, beeinflusst das Interesse dagegen grundsätzlich positiv – bei Mädchen aber weniger stark als bei Jungs.

Eine zentrale Hürde für beide Geschlechter ist laut der Analyse der Zeit- und Energieaufwand, der sich mit zunehmendem Alter sowie steigender Rundenzahl erhöht. Für Mädchen stellen jedoch auch Spaß, die eigene Fähigkeit und Berufsperspektive Hindernisse für die Teilnahme dar. Der Gender-Gap betrifft vor allem ältere Teilnehmer: sie sind stärker von einschlägigen Klischees sowie entsprechendem Druck auf Selbstbewusstsein und Leistungserwartungen geprägt.

Um das Problem zu lösen, schlagen die Befragten selbst etwa vor, die soziale Gemeinschaft bei den Wettbewerben etwa durch Teamaufgaben und das Schaffen von Austauschmöglichkeiten zu stärken und das Programm besser in den Schulalltag zu integrieren. Informatik sollte ihnen zufolge auch stärker als Berufsperspektive für Mädchen dargestellt und die BWINF-Infrastruktur verbessert werden. Das Nexus-Institut empfiehlt zudem eine Einbindung der Betroffenen in eine Weiterentwicklung der Wettbewerbe beispielsweise durch einen Nutzerbeirat oder eine partizipativ begleitete Umsetzung der Ergebnisse.

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"Wir können es uns nicht länger leisten, dass sich so wenige Mädchen für die Informatik entscheiden", kommentierte Christine Regitz, Präsidentin der Gesellschaft für Informatik (GI), die Ergebnisse. "Wir brauchen die Kreativität, das Engagement und die Ideen der Mädchen und Frauen, um die Herausforderungen unserer Zeit" mithilfe der Disziplin zu lösen. Es gelte, bereits früh Berührungspunkte zu schaffen: durch erste einschlägige Inhalte in der Grundschule und ein verpflichtendes Schulfach spätestens ab der Mittelstufe. BWINF-Geschäftsführer Wolfgang Pohl plädierte zusätzlich für "außerschulische und schulübergreifende Angebote, um Mädchen zu fördern und untereinander zu vernetzen".

(bme)