Spyware: Israelische Polizei nutzte unbefugt Pegasus-Prototyp Seifan

Ein Untersuchungsteam widerspricht der Ansage des früheren israelischen Polizeipräsidenten Roni Alsheich, den Staatstrojaner Pegasus nicht verwendet zu haben.

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Log der NSO-Group, dahinter unscharf ein Userinterface der NSO-Group

(Bild: T. Schneider/Shutterstock.com)

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Der Polizei-Abhörskandal in Israel, in dessen Zentrum Spionagesoftware des vor Ort ansässigen Unternehmens NSO Group steht, zieht weiter Kreise. Trotz der Behauptung des ehemaligen Polizeipräsidenten Roni Alsheich, dass "die israelische Polizei kein Pegasus hat, um alle Zweifel auszuräumen", entdeckte eine mittlerweile eingesetzte Untersuchungskommission, dass die Strafverfolger doch eine einschlägige Spyware einsetzten. Dies geschah aber unter dem Namen Seifan alias Saifen, wobei es sich um einen Pegasus-Prototyp gehandelt haben soll.

Als Reaktion auf eine Enthüllungsstory in der israelischen Wirtschaftszeitung Calcalist, die das Land Anfang des Jahres erschütterte, setzte die Regierung einen Untersuchungsausschuss unter der Leitung der stellvertretenden Generalstaatsanwältin Amit Merari ein. Dieser veröffentlichte vor wenigen Tagen seinen Abschlussbericht.

Die Prüfer fanden laut israelischen Medien heraus, dass das Seifan getaufte System "in den Händen der Polizei bestimmte Arten von Daten abfangen kann, zu deren Erfassung die Polizei nach dem Abhörgesetz nicht befugt ist". So sei es etwa möglich, Informationen zu erhalten, "die sich auf dem Zielgerät befinden und vor dem Beginn des Abhörens und sogar vor dem Datum des Gerichtsbeschlusses erstellt wurden". Darüber ließen sich über den Staatstrojaner auch Daten sammeln, "die keine Kommunikation zwischen Computern darstellen". Dabei handle es sich etwa um Protokolldetails, App-Listen, Kontaktdaten und auf dem Gerät gespeicherte Notizen.

Die Kommission legt zudem nahe, "dass die Bedeutung der Einführung eines Systems mit weitreichenden technischen Fähigkeiten, das einen Wendepunkt in der Welt des Abhörens darstellt, von den Entscheidungsträgern der israelischen Polizei nicht vollständig verstanden wurde." Selbst im Laufe der Jahre habe die Leitungsebene den Umfang der potenziellen Fähigkeiten des Überwachungsprogramms und die Tatsache, "dass verbotenes Material über Mobiltelefone in die Polizeicomputer gelangte" und darüber leicht verfügbar gewesen sei, nicht erkannt.

Vorschriften, "welche die Nutzung überschüssiger Informationen verbieten", hätten nicht ausgereicht, um die Software einzuhegen, ist dem Bericht zu entnehmen. Entsprechende Fähigkeiten hätten technisch vor einer Aktivierung des Systems entschärft werden müssen. Zudem sei ein ausgereifter Kontrollmechanismus erforderlich.

Der Ausschuss entdeckte aber keine Hinweise darauf, dass die Polizei Mobiltelefone ohne richterlichen Beschluss abgehört habe. Auch die von Calcalist genannte Liste potenzieller Betroffener wie Regierungskritiker, Unternehmer und Politiker habe sich nicht bestätigen lassen können. Die NSO Group hatte im Februar aufgrund dieser Vorwürfe eine Verleumdungsklage gegen die Zeitung eingereicht. Das Blatt sieht seine Recherchen trotzdem größtenteils bestätigt und zitiert mehrere Rechtsexperten, wonach der Untersuchungsbericht auf erhebliche Mängel in der Funktionsweise der Polizei und folglich auf gravierende Verletzungen der Privatsphäre und der Rechte von Verdächtigen hindeute.

Die israelische Zeitung Haaretz hat zusätzlich Screenshots aus einer Präsentation der Pegasus-Vorgängerversion veröffentlicht, die die NSO Group 2014 speziell für die israelische Polizei entwickelte. Diese offenbaren die konkreten Werkzeuge und weitreichenden Möglichkeiten des Seifan-Systems für den Ermittlungsalltag.

Die einzelnen Bestandteile der Spyware, die dem Sicherheitskabinett unter der Leitung des damaligen Premierministers Benjamin Netanjahu vorgestellt werden sollten, umfassten dem Bericht nach eine breite Palette an Funktionen. Diese reichen vom Abhören aller Gespräche auf einem infizierten Mobiltelefon über das Mitlesen von Textnachrichten bis zum Öffnen des Mikrofons und der Kamera aus der Ferne ohne Wissen des Inhabers. Die Präsentation sei von dem damals neu ernannten Leiter des Nachrichtendienstes der Polizei, Brigadegeneral Yoav Hassan, vorbereitet worden, einem früheren Mitglied der Eliteeinheit 8200 der israelischen Streitkräfte.

Unter dessen Führung und mit Unterstützung von Agenten des Geheimdienstes Mossad entwickelte sich die Einheit laut "Haaretz" zu einer quasi unabhängigen und abgeschotteten Gruppe, die ein hoher Polizeibeamter als "extraterritorial" bezeichnet habe.

Auf den Bildschirmfotos sind das NSO-Logo und der Produktname Pegasus zu sehen, auch wenn die Polizeiversion letztlich anders genannt wurde. Ferner zeigen sie einige der charakteristischen Merkmale, die laut internationalen Berichten in der Spähsoftware vorhanden sind. Eines der Bilder offenbart eine WhatsApp-Korrespondenz eines "John Doe" (entspricht etwa Max Mustermann) mit einer namentlich genannten früheren Verkaufsleiterin bei NSO und fünf weiteren Mitarbeitern des Herstellers.

Eine weitere in der Präsentation erwähnte Fähigkeit von Seifan ist eine Art großer Lauschangriff. Dabei wird die Umgebung eines Geräts in Echtzeit abgehört, indem das Mikrofon ferngesteuert aktiviert wird. Für diese Art des Abhörens ist in Israel eine Anordnung des Präsidenten des zuständigen Bezirksgerichts oder seines Stellvertreters erforderlich. Mit der Spionagesoftware soll die Polizei zudem vollen Zugriff auf alle auf dem Telefon gespeicherten Dateien gehabt haben – inklusive Ende-zu-Ende verschlüsselter, da auch diese auf dem Endgerät zumindest zeitweise im Klartext vorliegen.

Beobachter beschreiben Seifan als Demoversion von Pegasus. An der Benutzeroberfläche und den technischen Mitteln habe sich gegenüber dem heutigen Produkt kaum etwas verändert. Ob die Präsentation Regierungsvertretern gezeigt und wie lange die Spyware verwendet wurde, blieb offen. Die israelische Polizei versicherte: "Die Lücken, die der Bericht aufzeigt, werden von einem Team, das der Polizeipräsident eingesetzt hat, umfassend bearbeitet." Den Empfehlungen werde Folge geleistet werden.

(tiw)