19C3: Hacker gegen Pentagon-Propaganda und Kontrolltechniken

Auf dem 19. Chaos Communication Congress will man sich gegen "Total Information Awareness" und Überwachungsinfrastrukturen wie TCPA, Palladium und DRM zur Wehr setzen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 322 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Der 19. Chaos Communication Congress (19C3), der wie seine Vorgänger (siehe etwa 18C3, 17C3) wieder in der "stillen" Zeit zwischen den Jahren vom 27. bis zum 29. Dezember in Berlin stattfindet, wird sich inhaltlich dieses Jahr vor allem mit den längerfristigen Auswirkungen des 11. Septembers auseinandersetzen. "Den ganzen Anti-Terrorkram vom vergangenen Jahr wollen wir zwar nicht wieder durchkauen", sagt Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), der die "europäische Hackerparty" wie gewohnt ausrichtet. Doch nach Bekanntwerden der "Total Information Awareness"-Initiative des Pentagons und angesichts immer offener vorgetragener Programme des US-Verteidigungsministeriums zur Erzeugung von Kriegsstimmung in allen Ländern der "Anti-Terrorallianz" sei es dringend nötig, sich mit den "informationstechnischen und medialen Aspekten der Propaganda auseinanderzusetzen."

"Out of Order" lautet das Motto des Kongresses, zu dem die Anhänger des geordneten Chaos erneut einige tausend Besucher im Haus am Köllnischen Park erwarten. Es spiegele den Eindruck der Szene wieder, meint Müller-Maguhn, "dass die Situation gerade in den USA etwas außer Kontrolle geraten ist." Als Logo dient der stilisierte Umriss des Pentagons, bei dem -- mehr oder weniger originalgetreu -- eine Ecke durchbrochen ist.

Die Hacker selbst, gibt Müller-Maguhn zu, haben noch keine Antwort auf die Desinformations- und Überwachungspraktiken gefunden, die der amerikanische Verteidigungs- und Justizapparat sowie Regierungen weltweit nach den Anschlägen auf New York und Washington wie ein Netz über ihre Bürger spannen. Es gelte daher zunächst, die Weite der "Reichstagsbrand-ähnlichen Verordnungen" zu ermessen und die ins Spiel gebrachten Kontrolltechniken zu verstehen. Dazu zählt der Chaos Computer Club neben der Biometrie auch digitale Infrastrukturbestrebungen wie Digital Rights Management (DRM), die Trusted Computing Platform Alliance (TCPA) oder Microsofts Palladium. Schon am ersten Tag werden die technischen Hintergründe dieser Plattformen, die den Hackern zufolge "die Wissensgesellschaft in fundamentaler Weise bedrohen", eingehend unter die Lupe genommen.

Daneben gibt es Vorträge, die sich stärker auf der sachlichen Ebene mit dem Bereich Propaganda auseinandersetzen. "Die fünf Pforten der Manipulation" ist etwa ein Beitrag überschrieben, der Aufklärung zu Fragen verspricht wie "Was haben Autoverkäufer von den Verhörmethoden des CIA gelernt?" oder "Wie treibt ein winziger Fadenwurm eine Süßwassergarnele in den Selbstmord?" Anschauliche Beispiele "von Adam und Eva über Anne Parillaud, Gammarus lacustris und Mercedes Benz bis hin zu Thomas Gottschalk" sollen verdeutlichen, wie Lebewesen dazu getrieben werden, sich gegen ihre Instinkte selbst zu schaden.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet am zweiten Tag das Thema Kryptoanalyse, das für die Sicherheitsdebatte laut Müller-Maguhn immer wichtiger wird. "Neue Methoden wie die Quantenkryptographie werden rapide Auswirkungen haben", glaubt der noch amtierende Direktor der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Die Frage sei, welche Halbwertszeit gebräuchliche Verschlüsselungsalgorithmen noch hätten. Bedenklich scheint dem Chaosjünger vor allem, dass in der Mathematik und der Physik derzeit viele grundlegenden Entwicklungen vorangetrieben, gerade von US-Hochschulen aber Forschungsergebnisse aus dem Kryptobereich kaum noch veröffentlicht würden. Die Nutzer müssten daher mit dem Bewusstsein leben, dass ihre geheim geglaubte Kommunikation "in drei bis vier Jahren komplett lesbar sein könnte".

Am Rande des Programms, das momentan in der noch nicht absturzsicheren "Fahrplan-Version 0.6" vorliegt, wollen die Hacker konkrete Aktivitäten gegen den Kontrollwahnsinn aushecken. Raum geben soll ihnen dazu etwa ein Treffen eines informellen Verbunds der Verfechter für mehr Informationsfreiheiten, zu dem der CCC Vertreter zahlreicher anderer Netzorganisationen erwartet.

Aber auch für alle, die einfach nur gern bei einer Hackerbrause und Rauchwerk basteln, schrauben, feilen oder blödeln, bietet der 19C3 wieder ausreichend Möglichkeiten. Eigene Projekte können in dem auf zwei Geschosse verteilten Hackcenter genauso wie im "Art&Beauty"-Raum vorangetrieben werden. Wer lieber Schlösser als Server "aufmacht", kann bei den Sechsten Deutschen Meisterschaften im Lockpicking mitmachen. Intellektueller Höhepunkt dürfte am letzten Abend das Hacker-Jeopardy sein, bei dem die Feinheiten technischer Fragen aus den Mitspielern herausgekitzelt werden. Für weibliche Freunde und Kritiker der Technik ist ebenfalls gesorgt: Sie können ihr eigenes Haecksenzentrum beziehen. Das alles hat dieses Jahr einen gestiegenen Preis: Die Standard-Dauerkarte schlägt mit 40 Euro statt mit 60 Mark beim 18C3 zu Buche. (Stefan Krempl) / (jk)