Klimakongress: Industrie fordert beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien

BDI-Präsident Russwurm will eine "Revolution der Planungs- und Genehmigungsverfahren", um die Energiekrise zu stoppen. Die schleppende Digitalisierung nerve.

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Yasmin Fahimi (von links), Kai Niebert, Siegfried Russwurm

(Bild: Screenshot)

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Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) will trotz der besorgniserregenden Energiekrise an den Klimazielen für 2030 und 2045 festhalten, wonach Deutschland klimaneutral werden soll. Auch wenn es in den kommenden Wochen um nichts weniger gehe, als das Überleben der Industrie in Deutschland und Europa zu sichern, müsse Klimaschutz "hohe Priorität behalten", postulierte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Donnerstag auf dem Klimakongress der Lobbyvereinigung in Berlin.

Um die grüne Wende zu meistern, hält der BDI vor allem einen "deutlich beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und Netze" für erforderlich. Dieser müsse die erforderliche Backup-Kapazität "für Dunkelheit und Windstille" einschließen. Nötig ist laut Russwurm eine "Revolution der Planungs- und Genehmigungsverfahren". Diese seien "nach wie vor himmelweit vom notwendigen Tempo und der nötigen Effizienz entfernt".

Beim Freigeben von Ausbauprojekten für die Erneuerbaren müssten die Behörden auch die "Millionen Tonnen CO₂ mit einrechnen, die ich einsparen kann", betonte der BDI-Präsident. Mehr Windturbinen und Solarpanels aufzustellen, sei oft gar nicht das große Problem. Entscheidender sei es, auch "die Infrastruktur mit Anbindungen" hinzubekommen. Wenn die Hersteller ihre Presswerke anschalteten, "ziehen die so viel Strom, das kann man mit Windrädern drumherum gar nicht stemmen".

Viele Industriebetriebe wollten derzeit aus Deutschland rausgehen, weil etwa in Frankreich der staatlich subventionierte Strompreis günstiger sei und Gas in den USA nur ein Achtel koste, sorgte sich Russwurm vor einer "schleichenden Deindustrialisierung". Diese rüttele "an den Grundfesten unserer Wirtschaft und Gesellschaft". Die Bundesregierung müsse daher ein "Investitionsprogramm anschieben in Renewables", das gleichzeitig Wirtschaftsförderung darstelle. Neben lohnenden Geschäftsmodellen seien Steuerpräferenzen und -anreize hilfreich.

Es sei aber nicht nur eine Geldfrage, machte der Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp klar: "Bei der Digitalisierung macht uns staatliche Regulierung das Leben schwerer oder leichter." Viele Firmen wollten kein Papier mehr – jeder Arbeitsvertrag müsse aber ausgedruckt und abgelegt werden. Das sei "Komplexität, die Kosten verursacht". Unternehmen hätten im Gegensatz zu Bürgern "hunderte, tausende Behördenkontakte". Wenn dort dann nur ein Formular gescannt und als PDF verschickt werde, sei "nix gewonnen". Deutschland rede seit Jahren über die Digitalisierung auch der Verwaltung, aber "wir kriegen nix gebacken".

Als "existenziell wichtig" bezeichnete Russwurm momentan "eine deutliche Vergünstigung des Strompreises". Eine solche sei etwa durch den "Wegfall des Energiesteuer-Spitzenausgleichs und durch eine staatliche Co-Finanzierung der Übertragungs-Netzentgelte" zu erreichen. "Entlastungen müssen für die gesamte Dauer der Krise gelten, nicht nur für wenige Monate, sondern mindestens für zwei Jahre."

Entscheidend ist für den Manager darüber hinaus die Erhöhung des Angebots: "Alle Kraftwerke, die zur Verfügung stehen, müssen wieder ans Netz". Das frühere Siemens-Vorstandsmitglied schloss dabei – entgegen Appellen etwa von Klimaschützern – "Steinkohle, Braunkohle und auch alle sicher verfügbaren Kernkraftwerke" mit ein. Weiter machte sich Russwurm für den schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab einschließlich des Imports stark.

"Es ist dramatisch, dass Kohlekraftwerke wieder hochfahren, aber auch mir fallen wenig Alternativen ein", pflichtete der Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring, Kai Niebert, seinem Vorredner prinzipiell bei. Um eine vollständige Rolle rückwärts zu verhindern und die Transformation trotzdem zu beschleunigen, sei der einzige Ausweg der "rasante Ausbau der Erneuerbaren".

Die Ziele und Pfade der Bundesregierung befänden sich dazu noch auf "Vorkriegsniveau", monierte der Professor mit Blick auf den Überfall Russlands auf die Ukraine. Es gelte nun, hier endlich den Hebel umzulegen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sollte nicht nur weltweit LNG einkaufen, sondern auch Komponenten für Wärmepumpen, Windräder sowie Fachkräfte.

Andere EU-Länder machten bei der Energiewende "nichts besser" bezog sich Niebert auf eine Studie seines Lehrstuhls für Didaktik der Naturwissenschaften und Nachhaltigkeit an der Uni Zürich. Um den gordischen Knoten durchzuschneiden, sei die Akzeptanz vor Ort entscheidend, die momentan durch die steigenden Energiepreise zulege. Auch wenn etwa ein Windrad irgendwo in Sichtweite noch als Zumutung aufgefasst werde, sei vielen mittlerweile doch klar: "Das sichert dich auch zu Hause in der warmen Wohnung und deinen Job ab."

Bei Konflikten mit dem Naturschutz könne die Politik "noch mutiger werden", meinte der Forscher. Es gehe zwar nicht darum, Standards abzubauen. Bei den Zielen müssten aber solche verfolgt werden, die wirklich dem Naturschutz dienten. Die Bundeskompensationsverordnung, die hier ein kurzfristiges Verschlechterungsverbot vorsehe, sollte überarbeitet werden: Wenn ein Leiter eines Projekts für eine Bahntrasse oder ein Windrad verspreche, dass die Chance auf mehr Artenvielfalt damit letztlich wachse, dürfe nicht auf jeden einzelnen Rotmilan oder Feldhamster geschielt werden.

Auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Yasmin Fahimi, zeigte wenig Verständnis dafür, dass ein Dezibel zu viel oder ein noch gefundener Käfer genehmigte Infrastrukturmaßnahmen über Jahre hinweg verhindern. Zudem hälfen angesichts einer "großen Dramatik", in der bei Problemen mit energieintensiven Prozesse etwa in der Chemie- oder Bauindustrie hunderte und tausende Produktionsketten dahinter kaputtgehen könnten, gute Absprachen und gute Vertriebsvereinbarungen. Hier stelle sich "Sozialpartnerschaft at its best" unter Beweis.

Bei der Gasversorgung habe die Regierung "Erstaunliches geleistet", attestierte die SPD-Politikerin. Trotzdem seien die Preise viel zu hoch und sänken auch nicht mehr auf ein Niveau wie vor dem Krieg und der Pandemie. Der DGB fordere daher einen "Gaspreisdeckel oder ein anderes wirksames Instrument mit vergleichbarer Wirkung". Auch ein Klima- und Transformationsfonds sei empfehlenswert. Da Deutschland die Digitalisierung verpennt habe, sei zudem neben Energienetzwerken ein "sehr schneller, systematischer Ausbau von 5G" nötig. Die hiesige Industrie sollte die Führerschaft beim Internet der Dinge übernehmen.

(mki)