Bundesnetzagentur will Deutschlands Plattform-Aufseher werden

Die Regulierungsbehörde sieht sich gut gerüstet, um die zentrale Rolle des Koordinators für digitale Dienste nach dem Digital Services Act auszufüllen.

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(Bild: metamorworks / Shutterstock.com)

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Die Bundesnetzagentur (BNetzA) kann Plattformaufsicht. Davon versuchte der Vizepräsident der Regulierungsbehörde, Wilhelm Eschweiler, am Donnerstag die Zuschauer einer Online-Diskussion mit dem Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung alias Hans-Bredow-Institut, Wolfgang Schulz, zu überzeugen. Demnach ist das Bonner Amt bestens aufgestellt, um die zentrale Rolle des nationalen Koordinators für digitale Dienste nach dem Digital Services Act (DSA) einzunehmen.

Die Vermittlungsinstanz soll unter anderem als Relaisstation zur und zentraler Ansprechpartner für die EU-Kommission fungieren, die für die Aufsicht über sehr große Online-Plattformen mit über 45 Millionen monatlich aktiven Nutzern in der EU selbst zuständig ist. Dazu kommen Aufgaben wie Zertifizierung vertrauenswürdiger Hinweisgeber auf schädliche und illegale Inhalte sowie von Forschern mit speziellem Zugang zu Daten der Netzwerkbetreiber. Der Koordinator ist ferner Mitglied im Europäischen Ausschuss aller DSA-Kontrollinstanzen.

Diese neue Aufgabe erfordert laut Experten medien-, datenschutz-, verbraucher- und netzwerkrechtliche Kompetenz. Fraglich sei es, ob dafür eine neue Behörde nötig ist, die Aufgaben verteilt werden sollen oder es ganz andere Aufsichtsstrukturen braucht. Schulz erinnerte daran, dass es beim DSA auch um die Regulierung öffentlicher Kommunikationsinhalte gehe. Dabei müssten die Grundrechte beachtet werden. Der Bereich sei "sehr sensibel", was staatliche Eingriffe betreffe. Zumindest bei "gesellschaftsrelevanter Kommunikation" müsse die Staatsferne von Kontrolleuren gewährleistet sein.

Eschweiler sprach von einem aktuellen "Schaulaufen der Behörden", die sich für die Position des Koordinators interessierten. Klar sei, dass die Architektur des Plattform-Grundgesetzes "keine Verschiebung der nationalen Zuständigkeiten" vorsehe. Das vorhandene Portfolio werde daher nicht verändert: "Niemand von uns will in die Medienregulierung hinein", versicherte der Jurist. Hier sollten die Landesmedienanstalten weiter das Sagen haben. Die Regulierungsbehörde wolle zudem weder dem Bundeskartellamt noch Zollbehörden oder dem Bundeskriminalamt (BKA) Kompetenzen streitig machen.

Auch für die Option des Aufbaus einer neuen Superbehörde auf der grünen Wiese kennt Eschweiler keine Unterstützer innerhalb der Bundesregierung. Ein solcher Schritt würde lange dauern und es müssten neue Mannschaften rekrutiert werden. Zudem gebe es in Deutschland schon genug Ämter.

Die BNetzA sei als sektorspezifische Wettbewerbsbehörde gestartet, werde aber zunehmend "der Nukleus einer Digitalagentur", führte der frühere Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium aus. So sei sie neuerdings etwa auch dafür zuständig, Bußgelder im Rahmen der EU-Verordnung gegen terroristische Online-Inhalte zu verhängen und Präventionsmaßnahmen der Host-Provider zu überprüfen. Man habe zudem neben Juristen und Ökonomen etwa eine "Reihe von Informatikern" und Datenwissenschaftlern. Einen so hohen Grad an Interdisziplinarität gebe es "in keiner anderen Behörde in der Bundesrepublik".

Mit der nötigen Ungebundenheit sieht Eschweiler ebenfalls kein Problem: "Wir sind de facto weisungsfrei", betonte er. Es gebe "keine aufsichtsrechtlichen Maßnahmen". Erfahrungen und eine hohe Expertise im Umgang mit der Gerichtsbarkeit habe man nach zahlreichen Bußgeldverfahren etwa wegen unerlaubter Telefonanrufe oder den wiederholt durchgeführten Frequenzauktionen im Mobilfunk erworben: bei letzteren "wird jeder Schritt von uns höchstrichterlich überprüft". Mit dem Europäischen Gerichtshof seien einschlägige Fragen schon im Energiebereich thematisiert worden.

Ferner hält der Regulierungsexperte weitere "unabhängigkeitsstärkende Elemente" für denkbar. So könnte der Bereich des DSA-Koordinators beschränkt werden auf eine reine Rechtsaufsicht ohne fachliche Kontrolle. Dafür bestünde dann nur noch eine Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag.

In puncto Kooperation arbeite die Netzagentur etwa bereits im Telekommunikationsbereich mit dem Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) zusammen, erläuterte Eschweiler. In diesem Rahmen seien beispielsweise Leitlinien für die Netzneutralität entstanden. Deren Sicherung bleibe für die Behörde auch im Streit über eine Beteiligung der Plattformen an den Kosten für den Netzausbau "conditio sine qua non" (notwendige Voraussetzung).

Auch einen Bezug zur Zivilgesellschaft, zu Betroffenenverbänden und zur Wissenschaft gibt es laut dem stellvertretenden Behördenleiter längst. So sei ein Beirat mit vielen Forschern eingerichtet worden, ferner führe man viele Konferenzen durch. Diese Formen der Kooperation stärker zu institutionalisieren, wäre ihm eine Freude. Zu Sitzungen auf EU-Ebene könnte der Koordinator zudem Vertreter etwa der Medienanstalten mitnehmen.

Diese hatten im Vorfeld gewarnt, der DSA drohe "ein bürokratisches Monstrum unter staatlicher Kontrolle zu kreieren". Bereits funktionierenden Kontrollorganen werde die Arbeit erschwert. Die neue Struktur sehe in zahlreichen Fällen die exekutive Gewalt unmittelbar bei der Kommission.

Nun zeigte sich auch Schulz besorgt, dass die Brüsseler Regierungsinstitution sich immer mehr Kompetenzen rund um die öffentliche Kommunikation verschaffe. Hier gelte es, auf Kontrolle und Transparenz zu achten. Eschweiler hält die zentrale Position der Kommission dagegen für gerechtfertigt: Bei Google, Facebook, Netflix & Co. sei es schon etwas anderes, ob ein starker EU-Akteur an sie herantrete oder eine nationale Medienanstalt.

(olb)