Bits & Bäume: "Wir müssen Big Tech kleiner machen"

Die von großen Internetkonzernen vorangetriebene "Mainstream-Digitalisierung" verschärft laut Nachhaltigkeitsforschern die Klimakrise.

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Nachhaltigkeitsexperten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben am Samstag auf der Konferenz "Bits & Bäume" in Berlin nachdrücklich eine echte grüne und digitale Wende eingefordert. "Wir müssen Big Tech kleiner machen", gab Hugues Ferreboeuf von der Denkfabrik The Shift Project bei der Präsentation des Berichts "Digital Reset" als Parole aus. Die riesigen Internetkonzerne aus den USA und China seien eine der Hauptursachen dafür, "dass die Digitalisierung sich nachteilig auf die Nachhaltigkeit auswirkt".

Der Energieverbrauch der Digitalindustrie steige derzeit um sechs Prozent pro Jahr an, führte Ferreboeuf aus. 57 Prozent des Wachstums des Datenverkehrs gingen auf das Konto dominanter US-Akteure wie Alphabet inklusive Google, Amazon, Apple, Meta mit Facebook, Microsoft und Netflix. Selbst die besten Technologien mit hoher Energieeffizienz könnten diesen Anstieg nicht wettmachen. Laut Schätzungen von Netzbetreibern verursachen allein die großen fünf Internetkonzerne 50 Prozent des gesamten Datenverkehrs in Deutschland, mit weiteren drei Playern liege man bei 80 Prozent.

Big-Tech-Geschäftsmodelle erzwingen einen ständigen Zuwachs an Daten und Bandbreite, erläuterte Ferreboeuf. Alle persönlichen Informationen über die Nutzer würden dabei für Tracking, Profilbildung, gezielte Werbung und Umsatzmaximierung genutzt. Zugleich führten die Dekarbonisierungsstrategien von Google & Co. in die Irre. Mit dem Ziel, nur noch Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen, wandelten die Internetriesen bei den direkten Emissionen zwar auf dem Weg zur Klimaneutralität. Gleichzeitig würden der Energieverbrauch und damit die indirekten CO2-Ausstöße insgesamt aber pro Jahr um 25 bis 30 Prozent wachsen.

Der frühere Manager im IT-Sektor forderte daher, alternative Geschäftsmodelle wie kooperative Plattformen zu stärken. Diese müssten sich auf dem Markt behaupten können. Parallel gelte es, die Macht von Big Tech etwa mit Steuern, Gesetzen und Regeln etwa für den Wettbewerb sowie zum Datenschutz einzuschränken. Gerade in Europa seien viele Firmen zu einem Wandel bereit. Für den Rest seien politische Vorgaben nötig.

Die von großen Internetkonzernen vorangetriebene "Mainstream-Digitalisierung" verschärfe im Großen und Ganzen die Klimakrise, pflichtete Tilman Santarius von der TU Berlin dem Franzosen bei. Deren Aktivitäten vergrößerten das Einkommensgefälle nicht nur innerhalb der Unternehmen, sondern auch zwischen Firmen und Ländern. Die schädlichen Folgen der auf die Extraktion von Daten und seltenen Rohstoffen gestützten Geschäftsmodelle seien größer als die Einspar- und Effizienzpotenziale der Technik.

Der Ansatz, einen "unhaltbaren Status quo" zu optimieren, bringe wenig, stellte der Professor für sozial-ökologische Transformation klar. Erforderlich sei eine "tiefgehende nachhaltige" digitale Umgestaltung mit neuen Logiken, nach denen die Technik gestaltet werden sollte. Die Digitalpolitik müsse ausdrücklich auf Nachhaltigkeit getrimmt werden. Sektorspezifische Vorgaben wiederum wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU bräuchten eigene Kapitel für die Risiken und Chancen von Digitalisierung mit transformativen Elementen.

"Technisch ist die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte", berichtete Santarius' Kollege Lorenz Hilty von der Universität Zürich. "Aber auf der Makroebene sehen wir diese Effizienz nicht." Auch er verwies auf Rebound-Effekte, denen zufolge sich das Einsparpotenzial von Effizienzsteigerungen etwa durch eine massenhafte Nutzung von Smartphones oder Streaming-Diensten nicht oder nur teils verwirklichen lässt. Damit drohe eine weitere Verdopplung des CO2-Ausstoßes des Digitalsektors in den nächsten 10 bis 15 Jahren.

"Wir dürfen nicht auf das digitale Wunder warten", mahnte Hilty Industrie, Gesellschaft und Politik zum Gegensteuern. Einige Atome durch Bits zu ersetzen, löse das Grundproblem nicht. Studien zum Treibhauseffekt der digitalen Technik sprächen zwar von Einsparpotenzialen. Diese seien aber von "echten Reduktionen" zu unterscheiden. Der Gesetzgeber müsse daher einschreiten.

Schon das Design von Hard- und Software und Systemen etwa für Künstliche Intelligenz sollte inklusiv und innerhalb ökologischer Grenzen demokratisch entworfen werden, so das Beispiel von Dorothea Kleine vom Institut für globale nachhaltige Entwicklung der Universität Sheffield. Es dürften nur so viele Daten verarbeitet werden, wie für bestimmte Prozesse unbedingt nötig ("Suffizienz"). Überkonsum müsse durch die Kreislaufwirtschaft und Prinzipien wie ein Recht auf Reparatur, Recycling, offene Fabriken, Open Source und digitale Selbstbestimmung gestoppt werden.

Der globale Süden dürfe zudem nicht länger die Rechnung zahlen durch das Auspressen von Rohstoffen, postulierte Kleine. Auch auf dem Elektromüll sollten die Entwicklungsländer nicht sitzen bleiben. Für die EU müsse klar sein, dass ein solch progressiver Ansatz keine Innovationsbremse darstelle: Soziale und technologische Neuerungen erfolgten nicht mehr auf zehn Jahre alten Grundsätzen, sondern entlang nachhaltiger Modelle und Muster. Zuvor beklagte die grüne EU-Abgeordnete Alexandra Geese, dass für Abhilfen wie ein Verbot personalisierter Werbung auf europäischer Ebene noch keine Mehrheiten zu organisieren seien.

Die Alternativen für die Landwirtschaft, in der bereits viele digitale Werkzeuge verwendet werden, stellte die Züricher Agrarökologin Angelika Hilbeck dem Publikum vor. Die mächtigen Agrarkonzerne seien momentan dabei, mit digitalen Plattformen hochindustrielle, klassischerweise mit dem Einsatz vieler chemischer Dünge- und Schadstoffbekämpfungsmittel verknüpfte Formen der Landwirtschaft voranzutreiben. Die Effizienz lasse sich dadurch zwar kurzfristig steigern. Nachhaltiger wäre es aber, nicht Soft- und Hardware für Monokulturen zu entwickeln, sondern Instrumente für ein vielfältiges Pflanzensystem mit hoher Diversität.

"Die Digitalisierung ist das Rückgrat der Energiewende", betonte die norwegische Technologieforscherin Marianne Ryghaug. Es sei erforderlich, dezentrale Systeme auf der Basis von 100 Prozent erneuerbarer Energie zu unterstützen. Dies gehe aber nur über die Verschiebung von Machtbeziehungen in einem an sich schon komplexen System. Um dies zu schaffen, seien eine vorausschauende Ex-Ante-Regulierung und alle Akteure einschließende Entwicklungsstrukturen genauso entscheidend wie größtmögliche Transparenz und Kontrolle.

Im sehr energiehungrigen Baugewerbe könne die Digitalisierung helfen, Gebäude intensiver und flexibler zu nutzen, ergänzte der schwedische Umweltforscher Mattias Höjer. Dies würde den Flächen- und Ressourcenbedarf verringern. Auch er riet aber zu begleitenden gesetzgeberischen Schritten wie einer Steuerreform gegen Verschwendung von öffentlichem Raum.

(dwi)