Chinesischer Autohersteller Evergrande NEV: Mein Haus, mein Auto, meine Pleite

Evergrande ist ein Immobilienentwickler in China. Seine drohende Pleite könnte das gesamte Wirtschaftssystem zum Einsturz bringen. Doch Rettung naht: E-Autos!

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Evergrande NEV

(Bild: Evergrande NEV)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Folge sechs einer zehnteiligen Serie, mit der heise/Autos auf den chinesischen Automarkt blickt. Dort laufen sich – teils kräftig unterstützt von der sogenannten Kommunistischen Partei – gerade chinesische Elektroautoproduzenten warm, um demnächst mit viel Schwung und einem bunten Strauß modernster Autos den heimischen und die internationalen Märkte aufzurollen. Das dürfte nicht ohne Folgen für die deutschen Autoproduzenten bleiben, deren größter weltweiter Einzelmarkt seit einigen Jahren China ist.

Das wird einerseits absehbar das Bild auf deutschen und europäischen Straßen verändern, aber auch Auswirkungen für die deutschen Produzenten und ihren Absatz in China, dem weltweit größten Einzelmarkt, haben.

Um Evergrande ist es in jüngster Zeit erstaunlich ruhig geworden. Über Monate kam der chinesische Immobilienentwickler gar nicht mehr aus den Nachrichten heraus, weil er so hohe Schulden hat. Das Unternehmen gilt als "systemrelevant", um einen Begriff aus der letzten Finanzkrise zu bemühen. Mitten im Chaos möchte Konzernchef Xu Jiayin das Kerngeschäft ändern. Die bisherige Elektroauto-Tochter Evergrande NEV soll zum Star des Konzerns gemacht werden.

In Deutschland wäre Evergrande längst insolvent. Den Konzern drücken 300 Milliarden US-Dollar Schulden. Regelmäßig scheitert das Unternehmen daran, Zins- und Kreditrückzahlungen zu leisten. Die Kommunistische Partei zwang Xu bereits zwei Villen in Hongkong für 105 Millionen Dollar zu verkaufen, damit er Zinsen zurückzahlen kann. Auch seine private Kunstsammlung ist schon weg.

Dass es das Unternehmen noch gibt, ist einerseits seiner Größe geschuldet. Die Auswirkungen eines Konkurses sind nicht abzusehen. Selbst die Kommunistische Partei – die sonst eher wenig Zurückhaltung gegenüber Konzernen zeigt – scheint hier vor einem konsequenten Durchgreifen zurückzuschrecken. Im Sommer verweigerten Chinesen im großen Stil die Rückzahlung ihrer Immobilienkredite, weil es keine Bauaktivität mehr gab. Den Banken drohte im schlimmsten Fall ein Verlust von 350 Milliarden Dollar. Evergrande hat mittlerweile bei 668 von 702 Projekten, darunter ganze Stadtteile, die Bauarbeiten wieder aufgenommen.

Andererseits liegt das auch am chinesischen Insolvenzrecht. In der Volksrepublik gibt es den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung nicht. Evergrande muss also keinen Konkurs anmelden. Das müssen die Gläubiger tun. In chinesischer Sprache beim richtigen Gericht. Und dieses Gericht muss den Antrag annehmen. Für ausländische Gläubiger sind das viel zu hohe Hürden. Versuche gab es bereits. Doch für Gläubiger gibt es noch einen anderen Grund, um vorsichtig zu sein. In China gilt die Besonderheit, dass Beschäftigte Vorrang haben. Sie werden aus der Insolvenzmasse zuerst bedient. Das schmälert die Rückzahlungsquote zusätzlich.

Aber vielleicht wird Evergrande doch noch gerettet. Denn Ende Oktober begann die Auslieferung des Hengchi 5. Ein Mittelklasse-SUV mit 150 kW, das für rund 25.000 Euro zu haben ist. Angeblich hatte der Hersteller rund 100 Stück produziert. Es soll 37.000 Vorbestellungen geben.

Würden Sie für dieses Auto 300 Milliarden zahlen? So viel bräuchte Evergrande NEV nämlich.

(Bild: JustAnotherCarDesigner (CC-BY-SA-4.0))

Der Hengchi 5 ist das, was von den Elektroautoplänen des Konzerns übrig ist. Ursprünglich wollte Evergrande NEV mittlerweile neun Modelle auf dem Markt haben, vom Hengchi 1 bis zum Hengchi 9. Was aus den anderen acht wird, ist völlig unklar. Das Ziel von einer Million Elektroautos im Jahr 2025 dürfte ebenfalls Makulatur sein. Doch der Optimismus ist nicht verflogen. Bereits im kommenden Jahr sollen mit dem Hengchi 6 und Hengchi 7 zwei weitere Modelle auf den Markt kommen. Alles unter dem Vorbehalt, dass es dann die Marke noch gibt.

Obwohl Xu erklärt hatte, dass Elektroautos zukünftig das Kerngeschäft des Pleitekonzerns sein sollen, gehen Marktbeobachter davon aus, dass das Tochterunternehmen lediglich herausgeputzt werden soll, um es besser verkaufen zu können. Der Elektronikhersteller Xiaomi (Handys, Laptops, Smartwatches) hat angeblich Interesse, um sein Portfolio zu erweitern. Dass Technologiekonzerne in den Automarkt streben – in der einen oder anderen Rolle – ist in China keine Seltenheit.

Evergrande NEV startete mal mit einem Paukenschlag. Als Tochterunternehmen eines Immobilienriesen vertrauten die Anleger und Investoren der Firma. Im April 2021 – das Unternehmen hatte, wie erklärt, zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Auto gebaut – wurde der Hersteller an der Börse mit 87 Milliarden Dollar beurteilt und war damit wertvoller als Ford oder General Motors. Seit Frühjahr 2022 ist der Handel allerdings ausgesetzt.

(fpi)