Digitalgipfel: Was Kanzler Scholz zum Stand der Digitalisierung sagt

"Deutschland schreitet weiter voran bei der Digitalisierung", gibt Kanzler Scholz als Parole aus. Eine Zeitenwende proklamiert er hier aber lieber nicht.

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Bundesfinanzminister Olaf Scholz, SPD

(Bild: Bundesministerium der Finanzen / Photothek)

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Zum Abschluss des zweitägigen Digitalgipfels der Bundesregierung zeigte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Präsenz. Nach dem Goethe-Motto: "Der Worte sind genug gewechselt" verzichtete er nach der obligatorischen "Exponate-Besichtigung" aber – im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) – auf eine Rede und setzte sich lieber mit der Premierministerin Estlands, Kaja Kallas, und dem Präsident des IT-Verbands Bitkom, Achim Berg, aufs Podium.

"Deutschland schreitet weiter voran bei der Digitalisierung", behauptete Scholz angesichts immer neuer Indikatoren, wonach die Bundesrepublik in der EU auf diesem Feld allenfalls im Mittelfeld spielt und sich vor allem beim E-Government wenig tut. Gerade erst habe die Regierung mit dem Bundesrat verabredet, mehr Online-Verwaltungsdienste bundesweit zu schaffen und einen Service für alle zu bieten. Eigentlich sollten schon mit dem 2017 verabschiedeten Onlinezugangsgesetz (OZG) 575 Leistungsbündel rund ums digitale Rathaus bis Ende 2022 flächendeckend online bereitgestellt werden. Doch daraus wird nichts.

"Wir sind nicht da, wo wir sein könnten, aber weiter gekommen als erwartet", bleibt der Kanzler auch auf Nachfragen bei seiner Linie. Doch braucht das Land nicht auch bei der Digitalisierung eine Zeitenwende wie im Verteidigungsbereich und einen Doppel-Wumms wie angesichts der Energiekrise? Scholz äußert sich dazu nicht konkret, will die Erklärungen seiner Fachminister dazu nicht wiederholen. Er hält es für eine der wichtigsten Maßnahmen dieser Regierung, das Land erst einmal dafür bereitzumachen, die Digitalisierung überhaupt zu wollen.

Angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und den daraufhin gekappten Wegen bei der Energieversorgung würden digitale Techniken auf jeden Fall nicht nachrangig, betont Scholz. "Wir müssen an der Souveränität arbeiten", lautet sein Credo. Deutschland sollte vorn mit dabei sein, wieder eine wettbewerbsfähige Halbleiter-Produktion aufzubauen. Hier sowie bei der Cloud-Infrastruktur, Künstlicher Intelligenz (KI) und Telekommunikation dürfe Deutschland nicht von anderen Staaten abhängen. Es sei gut, dass dafür große Investitionen auch von privater Seite angekündigt seien.

Die Bundesrepublik profitiere sehr von der Globalisierung, gab der Regierungschef zu bedenken. Die Risiken seien aber groß, wenn Lieferketten von einem Versorger abhingen. Auch bei Rohstoffen wie Silizium oder Lithium werde Deutschland daher diversifizieren müssen.

In einigen Bereichen stehe die Republik aber zusammen mit Europa beim technologischen Fortschritt an der Spitze, verwies Scholz etwa auf das IRIS-T-System, einen hierzulande entwickelten Lenkflugkörper mit Infrarotsuchkopf für den Nahbereich. Mit Frankreich und Spanien arbeite Deutschland auch an Kampfjets der nächsten Generation inklusive Cloud-Anschluss, dem "Future Combat Air System", um verschiedene Waffensysteme zu verbinden.

Sonst hoch auf seiner Digitalagenda: Mehr IT-Spezialisten auszubilden und ins Land zu holen, Gesundheitsdaten zu nutzen und das Thema digitale Identität auszuweiten. Hier gibt es mit der eID zur elektronischen Identifizierung im Personalausweis seit Langem eine Lösung, die aber noch wenig genutzt wird.

In Estland können die Bürger derweil schon 99 Prozent der Verwaltungsdienste online abrufen. Selbst das Heiraten und die Scheidung könnten mittlerweile digital erfolgen, freute sich Kallas. 98 Prozent machten ihre Steuererklärung mit ein paar Klicks online und beeilten sich dabei, um bei einer raschen Abgabe eine Rückzahlung zu bekommen. Wenn die Menschen nicht mit der Exekutive online kommunizieren könnten, erhöhe das nur die Distanz. E-Government spare sehr viel Zeit. Zudem lasse sich der Computer nicht leicht korrumpieren, sondern führe zu mehr Transparenz und besseren Anti-Korruptionsmaßnahmen.

Trotz des hohen Grades der Digitalisierung in dem baltischen Land behielten die Bürger die Kontrolle über ihre Daten, meinte die Liberale. Einwilligungsarien wie bei Cookie-Bannern seien nicht nötig, da die Betroffenen "vorher ihr Einverständnis geben". Wie bei einem solchen pauschalen Opt-in eine granulare Steuermöglichkeit gegeben sein soll, erklärte sie nicht. Aus einem massiven Cyberangriff 2007 habe das Land gelernt und – auch nach anderen Rückschlägen – viel in IT-Sicherheit investiert. Auch wenn sich die Zahl der Online-Attacken mit dem Ukraine-Krieg deutlich erhöht habe, bekämen die Bürger so davon kaum etwas mit.

Bei Versorgungsketten ist es Kallas zufolge entscheidend, sich nur mit Ländern zu verbinden, "die die gleichen Werte teilen". Sonst könne der Gegenpart einer Nation Schaden zufügen, wie der Fall der Nord Stream-Pipelines zwischen Russland und Deutschland zeige.

Berg wandelte auf den Spuren Willy Brandts und warb dafür, mehr Digitalisierung zu wagen. Die ganze Regierung und die Verwaltung müssten hier vorangehen. Zudem suche die Industrie händeringend Fachkräfte. Maik Außendorf, Sprecher für Digitalpolitik der Grünen im Bundestag, räumte ein, dass auf dem Gipfel "vor allem die wirtschaftliche Perspektive" präsent gewesen sei. Dies reiche mit Blick auf das Gemeinwohl nicht aus. Die Fraktion habe sich in den vergangenen Monaten wiederholt dafür eingesetzt, "dass zivilgesellschaftliche Perspektiven stärkeres Gehör in der Strategie- und Vorhabenplanung der Ministerien finden".

(mki)