Showdown in Winsen/Luhe: Gericht verhandelt über Leistungsüberwachung bei Amazon

Darf Amazon permanent mit Handscannern erfassen, wer wie schnell arbeitet? Darüber verhandelt am Donnerstag ein Gericht – vor Ort im Amazon-Logistikzentrum.

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(Bild: Amazon)

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Eine niedersächsische Landesbehörde gegen den größten Onlinehändler der Welt, eine Gerichtsverhandlung in den Räumlichkeiten eines Konzerns und ein Rundgang der Richterinnen und Richter durch ein Logistikzentrum: Der für Donnerstag angesetzte Termin des Verwaltungsgerichts Hannover ist alles andere als alltäglich. Die 10. Kammer des Gerichts verhandelt vor Ort im Amazon-Logistikzentrum in Winsen/Luhe bei Hamburg.

Dabei geht es um eine seit fünf Jahren laufende Auseinandersetzung: Im November 2017 leitete die niedersächsische Datenschutzbeauftragte Barbara Thiel ein Kontrollverfahren gegen Amazon ein, nachdem Medien über die Leistungsüberwachung im Winsener Logistikzentrum berichtet hatten. Die Angestellten quittierten in bestimmten Bereichen fast jede Aktion mit einem Handscanner, Vorgesetzte könnten dadurch die Arbeitsgeschwindigkeit überwachen, schrieb etwa die Hannoversche Allgemeine Zeitung.

Die Datenschützer besichtigten in der Folge selbst das Logistikzentrum und schickten Amazon umfangreiche Fragebögen. Nach einigem Hin und Her untersagte die Behörde im Jahr 2020 dem Versandriesen die "ununterbrochene jeweils aktuelle und minutengenaue Erhebung und Verwendung bestimmter Beschäftigtendaten". Amazon habe "auf schwerwiegende Art und Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Beschäftigten eingegriffen", wie die Behörde mitteilt.

Zwar ist eine Leistungsüberwachung nicht grundsätzlich verboten. Doch aus Sicht der Datenschützer entsteht durch die konstante Datenerfassung bei Amazon ein "Überwachungsdruck", der das Verhalten der Mitarbeiter beeinflusst. Amazon könne stets verfolgen, wer wie schnell arbeite und wer die Geschwindigkeitsvorgaben einhalte, erklärt ein Sprecher der Behörde.

Die Untersagung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, denn Amazon klagt dagegen vor dem Verwaltungsgericht Hannover. Aus Sicht des Konzerns hat er ein berechtigtes Interesse an den Daten. Aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte seien nötig, um die Logistik zu steuern und mit Umverteilung zu reagieren – so gibt das Gericht in seiner Pressemitteilung die Amazon-Position wieder. Mittelfristig brauche Amazon die Werte, um die Stärken und Schwächen der Mitarbeiter zu erfassen. Das helfe bei der Einsatzplanung und schaffe objektive und faire Grundlagen für Feedback und Personalentscheidungen.

Auf Anfrage von c't erklärte Amazon zudem, dass es keine individuellen Leistungsvorgaben gebe. Man bewerte die Leistung auf der Grundlage gut erreichbarer Erwartungen und berücksichtige dabei die Teamleistung, die Arbeitssicherheitsvorgaben und wie lange Mitarbeiter bereits an einem bestimmten Platz tätig sind.

Laut einem NDR-Bericht nutzten Amazon-Manager die Scannerdaten zumindest in der Vergangenheit auch, um Mitarbeiter spontan anzusprechen. "Meine Vorarbeiterin fragt mich: 'Was ist los? Deine Rate ist niedriger als sonst!'", heißt es im Bericht eines Reporters, der undercover in dem Versandzentrum arbeitete.

Aus Sicht der Datenschutzbehörde könnte Amazon das Ziel der pünktlichen Auslieferung von Paketen auch ohne die individuelle Leistungsüberwachung erreichen. "So ist es beispielsweise denkbar, dass ausschließlich der Standort einer Ware innerhalb des Logistikzentrums verfolgt wird."

Während der Verhandlung wollen die Richterinnen und Richter das Logistikzentrum besichtigen. "Die Kammer möchte sich einen persönlichen Eindruck verschaffen, wie vor Ort gearbeitet wird", erklärte eine Sprecherin des Gerichts gegenüber c't. Um Fahrten zu vermeiden, finde auch die Verhandlung vor Ort bei Amazon statt.

In dem Verfahren sind keine weiteren Verhandlungstermine angesetzt, was man als Zeichen dafür werten kann, dass die Kammer noch am Donnerstag ihr Urteil verkünden will. (cwo)