Arbeitszeiterfassung: Stechuhr-Urteil verlangt gar keine Stechuhr

Wie ist Arbeitszeit im Homeoffice zu erfassen? Dazu hat sich das Bundesarbeitsgericht gar nicht geäußert. Bald folgen weitere Grundsatzurteile.

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Mann sitzt an Schreibtisch mit Laptop, die Arme verschränkt hinter dem Kopf

(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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Arbeitszeitmodelle wie Heimarbeit ("Homeoffice") und mobiles Arbeiten sind nach Auffassung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Inken Gallner, nicht passsé, auch nicht nach dem sogenannten "Stechuhr-Urteil" (Beschluss 1 ABR 22/21) aus dem Herbst. "Das Urteil schafft Vertrauensarbeitszeitmodelle nicht ab", sagte Gallner am Mittwoch bei der Vorlage des BAG-Jahresberichts in Erfurt. Sie reagierte damit auf Kritik seitens Unternehmerverbänden wie Bitkom an der Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung.

Das BAG hat im September in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass in Deutschland die geleistete Arbeitszeit unselbständig Beschäftigter erfasst werden muss. Eine Änderung des Bundesarbeitszeitgesetzes sei dafür gar nicht notwendig. Eine Pflicht zur Stechuhr bedeutet der Beschluss aber entgegen kritischer Darstellungen nicht. "Das Ob ist entschieden", erinnerte Gallner, "Das Wie der Arbeitszeiterfassung liegt in den gestaltenden Händen des Gesetzgebers."

"Die Entscheidung ist ein Politikum", räumt Gallner ein. Tatsächlich bedeute der Beschluss aber keine Einschränkung flexibler Arbeitszeitmodelle. Bestimmte Regeln, darunter die elfstündige Ruhezeit pro Tag, müssten allerdings immer eingehalten werden.

Das Bundesarbeitsgericht wird dieses Jahr noch weitere Grundsatzentscheidungen fällen, darunter zur Höhe von Nachtarbeitszuschlägen sowie zu Diskriminierung am Arbeitsplatz. Zum Streit um Nachtarbeitszuschläge in Branchen wie der Getränke- und Lebensmittelindustrie liegen beim BAG rund 400 Fälle. Hinzu kommen geschätzt 6.000 Fälle bei den Arbeitsgerichten der Bundesländer. Die erste Entscheidung, die den Getränkekonzern Coca-Cola betrifft, werde voraussichtlich am 22. Februar fallen, verriet die Gerichtspräsidentin ein Detail aus ihrem Terminkalender.

Das Gericht möchte dabei klären, ob unterschiedlich hohe Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Höhere Zuschläge für Arbeitnehmer, die nur selten Nachtarbeit erledigen, sorgen seit Jahren für Auseinandersetzungen in deutschen Unternehmen.

Mehrere Klagen liegen zum Antidiskriminierungsrecht vor. Das ist für die Juristin ein gutes Zeichen: "Arbeitnehmer trauen sich zu klagen." Das sei möglicherweise dem stabilen Arbeitsmarkt zu verdanken. Es gehe unter anderem um Benachteiligung wegen religiöser Bekenntnisse – konkretes Beispiel ist eine Erzieherin, die darauf beharrt, am Arbeitsplatz ein Kopftuch tragen zu dürfen. Ein weiterer Fall befasst sich mit Nachteilen für Teilzeitbeschäftigte bei Betriebsrenten. Bereits im Februar geht es um eine Frau, die bei gleicher Tätigkeit weniger als ihre männlichen Kollegen verdient.

Beim BAG sind 2022 insgesamt 1266 Fälle eingegangen, 255 weniger als im Jahr davor. 1283 Fälle hat das BAG 2022 erledigt. Die Zahl der zum Jahreswechsel offen Verfahren ist also geringfügig zurückgegangen.

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(ds)