Zypries: Web-Sperren können nicht auf Vertragsbasis aktiviert werden

Die Bundesjustizministerin widerspricht der Ansicht des Familienressorts, wonach das spätere Inkrafttreten des umkämpften Zugangserschwerungsgesetzes nicht zu Verzögerungen bei den Netzblockaden führen könnte.

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Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat der Ansicht des Familienressorts widersprochen, wonach das spätere Inkrafttreten des umkämpften Zugangserschwerungsgesetzes nicht zu Verzögerungen bei den im Raum stehenden Web-Sperren führen könnte. Im Hause Ursula von der Leyens (CDU) herrscht die Auffassung, dass die Blockaden pünktlich Mitte Oktober greifen. Die fünf "wesentlichen Anbieter" hätten sich ja bereits vertraglich gegenüber dem Bundeskriminalamt (BKA) bis zu diesem Zeitpunk zum freiwilligen Sperren kinderpornographischer Seiten verpflichtet, lautet die Ansage. Ganz anders sieht die Sache das Justizministerium: "Sie können in Grundrechte nur auf Basis eines Gesetzes eingreifen", erklärte ein Sprecher Zypries' gegenüber heise online. Deswegen seien die wiederholten Anläufe von der Leyens zu Web-Sperren mit dem Gesetz auf eine "klare rechtliche Grundlage" gestellt worden.

Auslöser des erneuten Streits zwischen den beiden Ministerinnen der großen Koalition ist die Tatsache, dass das federführende Bundeswirtschaftsministerium das "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" im Nachhinein zur sogenannten Notifizierung an die EU-Kommission gemeldet hat. Somit konnte das Vorhaben nicht an den Bundespräsidenten zur Prüfung und Ausstellung weitergeleitet werden und auch nicht planmäßig am 1. August Gültigkeit erlangen.

Notifizierungspflichtig ist das Gesetz zwar nach Auffassung der Bundesregierung nicht, unterstreicht das Familienministerium. Eine Anfrage der EU-Kommission im laufenden Gesetzgebungsverfahren habe allerdings vermuten lassen, dass die Brüsseler Behörde eine andere Rechtsaufassung vertreten könnte. Zur "Vermeidung von Verzögerungen" habe sich die Bundesregierung daher "einmütig" entschlossen, den Gesetzesentwurf "vorsorglich" in Brüssel vorzulegen. Dies sei "zügig" geschehen, nachdem der endgültige Entwurfstext feststand. Zugleich habe Berlin auf die eigene Rechtsposition hingewiesen. Die mit der Meldung bei der Kommission einhergehende Stillhaltefrist endet gemäß dem Bescheid des Familienressorts am 8. Oktober. Die Bundesregierung werde deshalb das weitere Gesetzgebungsverfahren nach Ablauf dieser Frist veranlassen. Für die Umsetzung der Sperrmaßnahmen habe das Intermezzo keine Folgen.

Beobachter, Experten und das Justizministerium sind anderer Meinung. Laut dem Münsteraner Informationsrechtler Thomas Hoeren müssen aufgrund der "Schlamperei" der Bundesregierung bereits die Notifizierungsfristen neu berechnet werden. Das Gesetz könne so frühestens zum 1. November in Kraft treten. Der Innenexperte der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, warf gar die Frage auf, ob das Regelwerk in der Zwischenzeit nicht verfalle. Hintergrund ist die sogenannte Diskontinuitätsbestimmung. Ihr zufolge wandern alle Bestrebungen des Bundestags in den Papierkorb des Gesetzgebers, die nicht vor dem Auslaufen einer Legislaturperiode in trockenen Tüchern sind. Da das Zugangserschwerungsgesetz aber vom Bundestag bereits beschlossen ist sowie den Bundesrat passiert hat und nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten fehlt, gehen Rechtsexperten von einer "Mindermeinung" aus. Horst Köhler könne das Vorhaben durchaus theoretisch auch im Oktober nach den Wahlen noch ausfertigen. Das Familienministerium betont ebenfalls, dass das Vorhaben aufgrund der Notifizierung nicht der Diskontinuität unterfalle.

Weiter Bestand haben nach Angaben des Justizministeriums aber die "erheblichen verfassungsrechtlichen" Bedenken, die Zypries gegenüber den Vertragsentwürfen für Abkommen mit großen Providern im März vorbrachte. Die mit den Blockaden unweigerlich einhergehenden Eingriffe etwa in das Fernmeldegeheimnis ließen sich auch nicht durch den Einbau einer Klausel zur Berechtigung von Sperren in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Provider quasi wegzaubern, schrieb die SPD-Politikerin damals an Frau von der Leyen. An diesen prinzipiellen Einwänden gegen eine privatrechtliche Lösung habe sich nichts geändert, stellte ihr Sprecher nun klar. Zudem würden die europäischen Melderegeln grundsätzlich auch bei privaten Vereinbarungen wie den Sperrverträgen greifen, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am heutigen Mittwoch. Sollte die EU-Kommission hier ebenfalls eine Notifizierung verlangen, müssten auch die vertraglich vereinbarten Blockaden drei Monate lang aufgehalten werden.

Nicht teilen will das Justizministerium die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit auch des Zugangserschwerungsgesetzes, die der frühere Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem vergangene Woche geäußert hatte. Zum einen hätten die Länder selbst keine Einwände vorgebracht, was die Zuständigkeit des Bundes betreffe, meinte der Sprecher. Zum anderen halte die Bundesregierung die Initiative trotz aller Umgehungsmöglichkeiten für ein geeignetes Mittel im Kampf gegen die Kinderpornographie. Das Gesetz sei daher verhältnismäßig. (Stefan Krempl) / (pmz)