Neonazis im Internet weiter auf Vormarsch

Laut dem aktuellen Projektbericht von jugendschutz.net haben Rechtsextreme im vergangenen Jahr ihre Aktivitäten im Internet verstärkt. Die direkte Ansprache von Providern habe in 90 Prozent der Fälle Abhilfe geschaffen.

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Neonazis haben im vergangenen Jahr ihre Aktivitäten im Internet erneut verstärkt. Dies geht aus dem Projektbericht (PDF-Datei) "Rechsextremismus Online" 2008 der von den Bundesländern finanzierten Jugendschutz-Einrichtung jugendschutz.net hervor. Allein die in dem Report dokumentierten unzulässigen Beiträge in sozialen Netzwerken und Videoplattformen haben sich im Vergleich zum Vorjahr auf mehr als 1500 geradezu verdoppelt. Auch gebe es derzeit so viele Szene-Websites wie nie zuvor: 1707 Angebote weltweit recherchierte jugendschutz.net nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr.

Rechtextreme nutzen demnach verstärkt die Mittel des Web 2.0, "um menschenverachtende Inhalte zu verbreiten und Jugendliche mit Videos und Musik zu ködern". Gegründet würden auch eigene soziale Netzwerke für Gleichgesinnte. Damit verknüpft sei die Hoffnung, "ungehindert gegen Minderheiten hetzen und demokratiefeindliche Thesen verbreiten zu können". Die Szene setze dabei verstärkt auf "bunte" Webseiten, Symbole aus verschiedenen Jugendcliquen und "griffige Slogans", um vor allem jüngere User anzusprechen. Vor allem Neonazi-Kameradschaften und so genannte Autonome Nationalisten, von denen jugendschutz.net 2008 insgesamt 321 Angebote sichtete, nutzten multimediale Möglichkeiten wie Filme und verschleierten ihre rassistischen und antidemokratischen Botschaften. In vielen Fällen sei der rechtsextreme Kontext erst auf den zweiten Blick zu erkennen.

Die Broschüre "Klickt's? Geh Nazis nicht ins Netz" der Bundeszentrale für politische Bildung soll aufklären

"Für Rechtsextreme sind Videos und Musik inzwischen das Propagandainstrument Nummer Eins", ist sich Stefan Glaser, Leiter des entsprechenden Arbeitsbereichs bei jugendschutz.net anhand der Beobachtungen sicher. Die Möglichkeiten, die sich durch Web 2.0-Plattformen für die Verbreitung ihrer Hass-Botschaften böten, seien "schier unbegrenzt". Die Betreiber der Plattformen müssten daher "konsequent an effektiven Lösungen arbeiten, um die Verbreitung unzulässiger Inhalte über ihre Dienste auch eigeninitiativ zu verhindern". Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, ergänzte: "Damit das Medium weiterhin Demokratie und Toleranz fördern kann, muss Rechtsextremen in sämtlichen Diensten die Rote Karte gezeigt werden."

Wichtiges Ziel der Projektarbeit von jugendschutz.net ist dem Bericht zufolge, Rechtsextremen die Propagandaplattform im Netz zu entziehen und unzulässige Inhalte so schnell wie möglich aus dem Netz zu entfernen. Wie im Vorjahr sei dies in 80 Prozent der Fälle gelungen. Als besonders wirksam habe sich wieder die direkte Kontaktaufnahme zu in- und ausländischen Providern herausgestellt. Die Angesprochenen hätten daraufhin zu 90 Prozent Angebote geschlossen oder abgeändert. Im Ausland berufe sich jugenschutz.net dabei auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Anbieter, in denen die Verbreitung von Rassismus und Hass meist untersagt werde.

Der Anteil an nach deutschen Recht unzulässigen Web-Inhalten unter den von jugendschutz.net gesichteten Seiten lag 2008 wie im Vorjahr bei 16 Prozent, heißt es in dem Report. 77 Prozent der Verstöße hätten sich auf strafbare Inhalte bezogen und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (67 Prozent), volksverhetzende Aussagen (25 Prozent) oder Holocaust-Leugnung (5 Prozent) aufgewiesen. 23 Prozent stufte jugendschutz.net als jugendgefährdend ein. Neonazis würden dabei verstärkt wieder ausländische Dienste in Anspruch nehmen. In Deutschland habe nur noch jede zehnte Website unzulässige Inhalte enthalten. Im Vorjahr sei dies noch bei "jeder achten" der Fall gewesen.

Im Ausblick macht sich der Bericht nicht nur für "eine dauerhafte und verstärkte Beobachtung von Rechtsextremismus im Internet" stark. Für nötig erachtet er zudem "insbesondere in den schnell wachsenden und bei Jugendlichen beliebten sozialen Netzwerken und Videoplattformen Maßnahmen, die über die Löschung einzelner unzulässiger Inhalte hinausgehen". Eine Forderung zum Sperren rechtsextremer oder Hassseiten, wie sie unter anderem von Politikern in der Folge der Diskussion über Websperren gegen Kinderpronografie immer wieder ins Spiel gebracht wird, enthält die Studie allerdings nicht. Wichtig sei Aufklärung. So setzt jugendschutz.net etwa auf die mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung herausgegebene Broschüre "Klickt's? Geh Nazis nicht ins Netz!", um 12- bis 15-Jährige über rechtsextreme Internet-Propaganda zu informieren.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries beklagte, dass "die Schnelllebigkeit und Globalität" des Internet die Durchsetzung der bestehenden Verbote der Verbreitung von Hass und Hetze erschwere. Die von der SPD-Politikerin initiierte Konferenz zu diesem Thema im Juli habe gezeigt, "dass wir weiterhin auf einen Dreiklang aus Beobachtung, Löschung und Aufklärung setzen müssen". Jugendliche müssten Bescheid wissen, damit sie Rechtsextremisten nicht auf den Leim gehen. Seit 2008 würden daher etwa im Rahmen des Projekts "Störungsmelder on tour" Prominente Schulen im Bundesgebiet besuchen, um mit den Auszubildenden über Gefahren durch Neonazis ins Gespräch zu kommen. (Stefan Krempl) / (jk)