Zehntausende auf Datenschutz-Großdemo in Berlin

In einem Meer von Farben der Oppositionsparteien gingen in der Hauptstadt mindestens 20.000 Bürger auf die Straße, um ein Zeichen gegen den "Überwachungwahn" in Staat und Wirtschaft zu setzen.

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In einem Meer von Fahnen und Luftballons in den Farben der Oppositionsparteien gingen in Berlin zehntausende Bürger auf die Straße, um ein Zeichen gegen Überwachung in Staat und Wirtschaft zu setzen. Politik und Unternehmen bräuchten "Nachhilfe in Sachen Datenschutz", erklärte Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft ver.di, bei der Auftaktveranstaltung. Sie startete unter dem Motto "Freiheit statt Angst" am Potsdamer Platz um 15 Uhr vor rund 20.000 Zuhörern.

Datenschutz-Großdemo in Berlin (8 Bilder)

Datenschutz-Großdemo in Berlin

Es sei ein "Unding", dass Firmen ihre Mitarbeiter derzeit mit Mitteln ausspionierten, die über das hinausgehen, was die Polizei etwa bei heimlichen Online-Durchsuchungen dürfe, erklärte Bsirske. Patrick Breyer vom Aktionskreis Vorratsdatenspeicherung, der die Großdemonstration wie in den vergangenen Jahren hauptsächlich organisiert hatte, warnte: "Wir dürfen nicht warten, bis uns die Überwachungslawine begräbt." Nötig sei "endlich wieder eine freiheitsfreundliche Politik an der Macht", verwies Breyer auf die Bundestagswahl in zwei Wochen. Konkret griff er Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Wolfgang Schäuble von der CDU an, weil sie seiner Ansicht nach "keine überwachungsfreien Räume" dulden lassen wollen.

"Für die herrschende Politik gibt es eine analoge Welt mit Diktatoren, Terroristen, Kinderschändern, Wirtschaftskriminellen und Rechtsextremisten", monierte der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert. "Bedienen die sich digitaler Techniken, so die Logik, dann muss eben überwacht und zensiert werden." Dabei sei den Herrschenden zumeist nicht ansatzweise bewusst, "dass sie mit völlig untauglichen Mitteln vorgehen, und dass sie zur Verteidigung unserer analogen Sicherheit unsere digitalen Freiheitsrechte opfern". Über nötige Schutzmaßnahmen werde nicht nachgedacht. So habe etwa noch kein einziger Staat ernsthaft versucht, "die informationelle Macht von Firmen wie Microsoft oder Google einzugrenzen". Der Datenschutz lande vielmehr auf den Streichlisten der Haushaltspolitiker. Die Bevölkerung benötige aber Informations- und Meinungsfreiheit Angebote zum Selbstschutz, nicht "Totalkontrolle".

Die Teilnehmer selbst forderten auf Plakaten und Transparenten "Finger weg von meinen Daten", "Nase raus aus meinem Bankkonto", "Überwachung abwählen" oder mit dem Slogan "Löschen statt Sperren" ein Aus für das Zugangserschwerungsgesetz. Der von einer "Datenkrake" angeführte Zug durchs Zentrum umfasste neben Blöcken der Liberalen, Linken, Grünen und der Piratenpartei auch einen "Schwarzen Block" mit Anhängern der Antifa. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vertreten und machte teils bereits zu Beginn ohne nähere Begründung Videoaufnahmen.

Die Demo, die am Abend mit weiteren Ansprachen sowie DJ- und Live-Musik beschlossen werden soll, ist Teil des internationalen Aktionstages "Freedom not Fear", zu dem weltweit Proteste gegen Überwachung stattfinden. Ralf Bendrath vom Netzwerk neue Medien berichtete von parallelen Veranstaltungen etwa in Sofia, Prag, Stockholm, Helsinki oder Italien. Zugleich rief er dazu auf, gegen Überwachungsvorhaben wie die Vorratsdatenspeicherung, Biometrie-Pässe oder den Transfer von Überweisungsdaten in die USA bereits in Brüssel zu intervenieren: "Wir wollen keine europäische Überwachungsunion."

Zu der Protestkundgebung hatte ein breites Bündnis aus 167 Organisationen aufgerufen. Dazu gehörten Bürgerrechtsvereinigungen wie die Humanistische Union oder zivilgesellschaftliche Organisationen wie attac oder der Chaos Computer Club (CCC) genauso wie Gewerkschaften, Parteien und Berufsverbände von Anwälten, Richtern, Journalisten und Handwerkern. Im Vorfeld hatte zwei Stunden früher bereits das "Aktionsbündnis Freiheit statt Angst", das sich nach der Großdemo im Oktober vergangenen Jahres aus dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ausgeklinkt hatte, zu einem dünn besuchten "Warm-up" vor dem Roten Rathaus und einem Protestzug zum Potsdamer Platz geladen. Die Veranstalter der Hauptkundgebung sprachen von einer "Einzelveranstaltung einiger Organisationen aus der Berliner Polit-Szene". (Stefan Krempl) (hob)