Musikwirtschaft zwischen Kulturflatrate, Systemwandel und Kreativ-Streiks

Auf der als Ersatz zur Messe Popkomm gedachten Konferenz "all2gethernow" sammelten Künstler, Produzenten, Techniker und Nutzer drei Tage lang Ideen und Konzepte zur Zukunft der krisengeschüttelten Musikbranche.

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Auf der als Ersatz zur dieses Jahr pausierenden Popkomm gedachten Konferenz "all2gethernow" sammelten Künstler, Produzenten, Techniker, Labels und Nutzer die vergangenen drei Tage in Berlin Konzepte zur Zukunft der krisengeschüttelten Musikbranche. Die Veranstaltung, die einen Ideenaustausch im interaktiven Barcamp-Stil mit vielen runden Tischen und einen Abschlusskongress am heutigen Freitag mit strengeren formalen Strukturen umfasste, drehte sich um "neue Erlösmodelle" etwa über Global-Lizenzen genauso wie um die Eigenvermarktung von Musikern, digitale Vertriebshelfer, "grüne Musik" oder eine bessere Interessensvertretung der unabhängigen Kreativwirtschaft gegenüber der Politik.

Größtenteils Einigkeit herrschte, dass Musiker auch im digitalen Zeitaltern gern "reich und berühmt" werden, wie es John Watts, Ex-Sänger der britischen New-Wave-Band Fischer-Z auf den Punkt brachte. Wenn man eine Sache mit Überzeugung mache, komme das Geld aber von selbst über das eigene Profil, meinte der alte Hase im Musikgeschäft. Letzteres sollte "auf Inhalten und Kommunikationsfähigkeit" beruhen. Musik müsse wieder stärker in ihre künstlerischen Traditionen eingebettet werden, daraus schöpfen und als Kultur verstanden werden, lautete der idealistische Tenor, der die Veranstaltung kennzeichnete. Es gehe nicht darum, Geld mit der Musik zu verdienen, sondern "wegen ihr". Immer wieder betonten Sprecher ganz im Sinne des Konferenzmottos zudem die Notwendigkeit einer besseren Vernetzung der Szene mit Manifesten, Bewegungen und Protestaktionen.

Konkret suchte der Berliner Medienforscher Volker Grassmuck die Einwände gegen die von ihm befürwortete Einführung einer Pauschalgebühr zur nicht-kommerziellen Nutzung geschützter Werke zu widerlegen. Als "völlig unverständlich" bezeichnete er Sorgen, dass mit der viel diskutierten Kulturflatrate ein "Bürokratie-Monster" geboren werde. Das System werde vielmehr "weitgehend automatisiert ablaufen können" und bestehende Kontrollpflichten etwa der GEMA unnötig machen. Konkret würde eine relativ überschaubare Zahl von Internetprovidern in die Pflicht genommen, die Pauschale einzusammeln. Das Geld gehe dann an die Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ), die es nach festen Bewertungssätzen an Verwertungsgesellschaften weitergebe. Diese schütteten die verfügbaren Summen nach eigenen Schlüsseln an ihre Mitglieder aus. Dabei müsse nichts neu erfunden werden.

Mit "verschiedenen Erhebungsverfahren" kann laut Grassmuck gewährleistet werden, dass auch kleinere Produzenten berücksichtigt werden. Eine Reihe Testnutzer etwa könne ihr Download-Verhalten dokumentieren, dazu träten Umfragen, Marktanalysen und technische Übersichten an den Backbones der Zugangsanbieter. Generell müsse das System dynamisch sein und auf Verschiebungen etwa durch eine mögliche stärkere Nachfrage nach Streaming-Diensten reagieren können. Der Wissenschaftler begrüßte es, dass die Isle of Man mittlerweile ein Testsystem zur Handhabung einer Content-Flatrate in Betrieb genommen habe. Damit könnten Fragen der Messung und Verteilung in der Praxis beantwortet werden.

"Wir können nicht alle unsere Kinder einsperren, um ein veraltetes Geschäftsmodell durchzusetzen", machte sich auch der "Medienfuturist" Gerd Leonhard für Pauschalansätze und generelle Internetlizenzen zur Inhaltenutzung stark. Nach seiner Vorstellung sollen aber nicht die Nutzer direkt eine Art Steuer zahlen. Vielmehr reiche es aus, wenn die Zugangsanbieter ihre für Marketing vorgesehenen Budgets teils umschichten und in eine Contentpauschale für ihre Kunden einfließen lassen würden.

Grundsätzliche Kritik an der Funktion der großen Plattenfirmen übte Tim Renner, Ex-Chef von Universal Music Deutschland und Gründer des alternativen Musikhauses Motor Entertainment. Vor gut zwanzig Jahren in einer Welt knapper Rundfunkstationen, Tausender großer Plattenläden und hoher analoger Produktionskosten hat es gemäß dem Mitinitiator der all2gethernow noch Sinn gemacht, einem großen Label die eigenen Rechte abzutreten und auf dessen "Armee von Vertriebs- und Marketingleuten" zu setzen. Inzwischen könne ein Künstler aber seine eigene Plattenfirma sein. Labels seien nur noch als punktuelle Dienstleister etwa für den Vertrieb gefragt.

Auch diesen komplett digital gestalten will die Plattform SoundCloud, bei der man Songs einmal hochladen und dann den Zugang dazu managen kann. Eine über die Firma unter anderem zur Verfügung gestellte "Dropbox" funktioniert wie eine Art Anrufbeantworter, über den man sich per Knopfdruck eingestellte Stücke anhören kann. Lange Downloads entfallen dabei. Daneben existieren bereits Verlagshäuser wie BMG Rights Management, die Künstlern den Großteil der Kontrolle über ihre Vermarktung selbst überlassen und sich auf die Lizenzierung der vorfinanzierten Masterrechte an der Musik für Film, TV oder Werbung spezialisieren.

Fürs kommende Jahr sei auf jeden Fall eine Fortsetzung der all2gethernow geplant, zeigte sich Renner gegenüber heise online von Anfangserfolg der Tagung überzeugt. Andreas Gebhard von der Agentur newthinking communications, die hauptsächlich die Organisation der Konferenz stemmte, sprach von insgesamt rund 1000 Teilnehmern. Ein eigenes Geschäftsmodell habe sich damit aber noch nicht entwickelt: "Der hinter der Veranstaltung stehende Verein ist froh, wenn er eine schwarze Null schreibt." Auch die Popkomm soll 2010 wieder unter dem Dach einer vom Berliner Senat geplanten "Berlin Music Week" neben einem Festival wieder am Start sein. Der Schwerpunkt der "offiziellen" Veranstaltung der Musikindustrie wird dem Hörensagen nach auf einer verstärkt an die Verbraucher gerichteten Messe liegen.

Wie sich auf der all2gethernow zeigte, gärt aber auch die Unzufriedenheit der Kreativen mit der Senatspolitik. Viele Macher fürchten, dass die geistigen Freiräume der Hauptstadt durch Großinvestoren plattgemacht werden. Sie fordern daher auf Landes- und Bundesebene eine bessere Vertretung etwa über einen "Kreativminister". Um den Protesten Ausdruck zu geben, sind Streiktage wie ein "Berlin-Off-Weekend" geplant. Dabei sollen alle Kreativen in Clubs, Museen, Verlagen, Sendern oder Agenturen die Arbeit zeitweise ruhen lassen. (Stefan Krempl) / (vbr)