Widerstand im EU-Parlament gegen Internet-Sperren bei Urheberrechtsverletzungen bröckelt

Die Verhandlungsführer der Volksvertreter im Streit über eine Regelung zur "abgestuften Erwiderung" auf Urheberrechtsverstöße im Telecom-Paket haben sich auf eine "Kompromissformel" mit dem EU-Rat verständigt. Bürgerrechtler sprechen von "Verrat".

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Die Verhandlungsführer des EU-Parlaments im Streit über eine Regelung zur "abgestuften Erwiderung" auf Urheberrechtsverstöße im Telecom-Paket, die französische Sozialistin Catherine Trautmann und der spanische Konservative Alejo Vidal-Quadras, haben sich Berichten zufolge auf eine "Kompromissformel" mit dem EU-Rat verständigt. Der von den Vertretern der Mitgliedsstaaten im laufenden Vermittlungsverfahren präsentierte Vorschlag soll den bereits legendären Änderungsantrag 138 ersetzen. Mit diesem hatten sich die Abgeordneten in der 1. und 2. Lesung des rechtlichen Rahmens für die Neufassung der Regulierung des Telekommunikationsmarktes dafür ausgesprochen, dass Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer – etwa das Kappen von Internetverbindungen – nur per Gerichtsentscheidung verhängt werden dürften.

Der stattdessen von Trautmann und Vidal-Quadras mit abgesegnete Artikel besagt zwar zunächst ebenfalls, dass die Grundrechte der Nutzer bei allen Maßnahmen für Zugangseinschränkungen gewahrt werden sollen – einschließlich eines Anspruchs auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Mitgliedsstaaten soll es aber vorbehalten bleiben, Dringlichkeitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit sowie zur Verhinderung, Untersuchung und Verfolgung jeglicher Straftaten einzuleiten. Gegner des Paragraphen fürchten, dass Nutzern künftig der Internetzugang ohne Gerichtsverhandlung schon im Rahmen der normalen Strafverfolgung etwa von Urheberrechtsverletzungen abgeknipst werden könnte.

Die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net spricht angesichts der Kehrtwende im Hinterzimmer bei Gesprächen mit Abgesandten des Rats und der EU-Kommission von einem "Verrat" der Verhandlungsführer an der Linie des Parlaments. Die Abkehr von der wiederholt bestätigten Haltung der Volksvertreter unterlaufe die Macht des Parlaments und verweise auf ein Fehlen von Transparenz und demokratischer Glaubwürdigkeit der Europäischen Institutionen, bemängelt Philippe Aigrain von dem zivilgesellschaftlichen Bündnis. Die jetzt abgesprochene Formel könne letztlich eine Internetüberwachung "Orwellschen Ausmaßes" gestatten. La-Quadrature-Sprecher Jérémie Zimmermann ergänzte, dass die Initiative "Three Strikes"-Systeme in allen Mitgliedsstaaten die Tür öffnen würde.

Trautmann und Vidal-Quadras berufen sich dagegen auf eine Einschätzung des juristischen Diensts des EU-Parlaments, wonach der Änderungsantrag 138 nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Das Recht auf ein Urteil einer Gerichtsbehörde "vor" Sanktionsmaßnahmen lasse sich auch nicht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ableiten. Mit dem Kompromissansatz des Rats und der Kommission gebe es dagegen keinen Zusammenstoß mit dem EU-Recht. Beobachter halten dagegen, dass die Einschätzung der Rechtsexperten des Parlaments die eigentlich mit dem Korrekturvorschlag 138 verknüpften politischen Fragen nicht beachte. Es gehe dabei nicht um einen Ansatz zur Regulierung des Binnenmarktes, sondern um eine allgemeine politische Vorgabe.

Eine Mitarbeiterin des EU-Abgeordneten Herbert Reul (CDU), der für Deutschland im Vermittlungsausschuss sitzt, wollte den Stand der Gespräche derzeit nicht kommentieren. Es gebe noch kein offizielles Ergebnis und über die Verhandlungen in den Vorrunden sei Stillschweigen vereinbart worden. Im weiteren Verfahren müsse sich die Delegation des Parlaments auf eine Position einigen und darüber abstimmen. Die mit den anderen Gremien ausgehandelte Linie werde dann im Plenum den Volksvertretern zur Wahl gestellt.

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(jk)