Studie kritisiert Sperrmaßnahmen im Internet

Ein vom Open Society Institute geförderter Bericht sieht die auch in demokratischen Staaten zunehmenden Bestrebungen zum Blockieren illegaler oder anstößiger Inhalte als Bedrohung für den freien Informationsaustausch an.

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Ein vom Open Society Institute finanzierter Forschungsbericht (PDF-Datei) sieht in den zunehmenden Bestrebungen der demokratischen Staaten zum Blockieren von Inhalten im Internet eine große Bedrohung für den freien Informationsaustausch. Es gebe viele gute Gründe, dass Politik und Wirtschaft den Einsatz von Web-Sperren in Betracht zögen, heißt es in der Studie mit dem Titel "Internet blocking ­ balancing cybercrime responses in democratic societies". Die Betrachtung der Umsetzung bereits erfolgter Blockadesysteme und ihrer Wirksamkeit weise aber auf viele offene Fragen hinsichtlich ihres Erfolgs hin.

Fast alle technischen Ansätze hätten einen großen Einfluss auf die Belastbarkeit des Internet und fügten einem bereits sehr komplexen Netzwerk eine weitere schwer handhabbare Komponente hinzu, betont die Studie. Sperren ließen zudem schwere Bedenken in Bezug auf fundamentale Freiheiten und Bürgerrechte aufkommen. Versuche zur Implementierung von Web-Blockaden "gehen oft ins Auge", erklärte Cormac Callahan vom irischen Internet Safety Advisory Council bei der Präsentation der Analyse am heutigen Donnerstag in Brüssel.

Callahan hat den Bericht gemeinsam mit drei weiteren Wissenschaftlern verfasst, darunter der Kölner Cybercrime-Forscher Marco Gercke. Die Autoren warnen Gesetzgeber vor Schwarz-Weiß-Denken, nach dem es nur um "Sperren oder Nicht-Sperren" gehe. Vielmehr verweise allein der Gedanke, überhaupt zum Mittel von Internet-Blockaden zu greifen, auf das Fehlen internationaler Vereinbarungen zum Umgang mit anstößigen Inhalten. So sei es fragwürdig, warum gerade bei Kinderpornographie oder anderen Angeboten, die fast universell als illegal gälten, nach Sperren gerufen werde.

Die Gutachter kritisieren den Ansatz von Ländern wie Großbritannien, in denen die Internetwirtschaft auf Drängen des Staates in Eigenregie "Access Blocking" durchführt. Falls Sperren gesellschaftlich gewünscht würden, sei es Aufgabe von Politik und Justiz zu klären, was wie zu blockieren sei und wie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gewährleistet werden könne. Zudem müsse eine öffentliche und unabhängige Kontrolle der implementierten Systeme möglich sein. Sperrungen dürften nur im Rahmen nationaler Gesetzgebungsverfahren unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter beschlossen werden. Nur so sei ihre Rechtsstaatlichkeit zu garantieren.

Die Forscher überraschte zudem, dass die bereits angewendeten Blockadesysteme meist auf dem Domain Name System (DNS) basieren und damit besonders leicht zu umgehen sind. Letztlich könnten Rechtsbrecher nicht davon abgehalten werden, Zugriff auf inkriminierte Inhalte zu nehmen. Gleichzeitig werde aber voraussichtlich das Recht auf freie Meinungsfreiheit technisch unversierter Bürger untergraben. Die Untersuchung ergänzt eine Reihe nationaler Studien hierzulande, wonach Web-Sperren massiv in Grundrechte eingreifen, Verhältnismäßigkeitsprüfungen im Einzelfall erforderlich machen und höchstens in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen in Frage kommen.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco begrüßte die Ergebnisse und leitete daraus die Forderung ab, dass Sperrmaßnahmen "aus internationaler und europäischer Perspektive keine Zukunft haben". Es sei daher problematisch, derartige Ansätze nach dem vorläufigen Stopp von Web-Sperren durch die geplante schwarz-gelbe Koalition im Ausland und in Europa nach wie vor zu diskutieren.

(vbr)