Filmkritik: Avatars Aufbruch in den 3D-Mainstream

Nach den Animations- und Horrorfilmen entdeckt auch das Action-Kino die dritte Dimension. Die mehr als 230 Millionen US-Dollar teure Blockbuster-Produktion Avatar soll der 3D-Stereoskopie weltweit zum Durchbruch verhelfen.

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Avatars Aufbruch in den 3D-Mainstream (9 Bilder)

Avatar: Aufbruch in den 3D-Mainstream

Aller Anfang ist schwer: Wie Jake muss sich auch der Zuschauer an die neue stereoskopische Perspektive in der ersten halben Stunde gewöhnen. (Bild: Fox)

14 Jahre lang ging James Cameron angeblich mit der Geschichte von Avatar schwanger. Damals kam gerade Disneys Interpretation von Pocahontas in die Kinos und muss den Action-Regisseur tief beeindruckt haben. Die Geschichte um den Trapper John Smith, der sich entscheiden muss zwischen dem Profitstreben in der Welt des weißen Mannes und der unbeschwerten Naturverbundenheit des Indianervolks seiner großen Liebe, wurde im vergangenen Jahrhundert zigfach verfilmt. Warum den klassischen Stoff nicht auch mal in ein Science-fiction-Szenario einbinden, in dem blauhäutige Aliens die Rolle der Indianer übernehmen?

Das allein würde die Unsummen aber kaum rechtfertigen, die der Film, der am 17. Dezember in die Kinos kommt, mit seinen Produktionskosten in Höhe von 237 Millionen US-Dollar (plus 150 Millionen Dollar für Marketing) verschlang. Cameron will mit Avatar das 3D-Kino im Massenmarkt etablieren und macht sich seine Erfahrungen mit stereoskopischen Dokumentarfilmen in der Tiefsee zunutze. Seit Jahresbeginn wuchs die Zahl der 3D-Kinos in Deutschland rasant von 30 auf mittlerweile über 220.

Während es in konventionellen 2D-Action-Filmen gleich in den ersten Minuten richtig rummst, lässt Avatar dem Zuschauer Zeit, sich an die 3D-Darstellung zu gewöhnen. Genau wie die querschnittsgelähmte Hauptfigur Jake Sully mit seinem Rollstuhl gemütlich die Basis erkundet, macht sich der Zuschauer mit den stereoskopischen Effekten vertraut. Anfangs wirken viele Objekte im Raum leicht unscharf, sodass man glaubt, seine Plastikbrille putzen zu müssen. Erst nach einer halben Stunde, wenn sich die Augen langsam an die Optik gewöhnt haben, schaltet Avatar einen Gang höher und schickt Jake in seinem neuen Alien-Körper auf seinen ersten Ausflug in den Wald, wo er prompt vor einem blutrünstigen Dinosaurier flüchten muss. James Bond hätte da schon längst ein halbes Dutzend Autos zu Schrott gefahren und drei Hubschrauber in die Luft gejagt. Doch ein Film, der 162 Minuten dauert, muss mit seinen Kräften haushalten.

Statt den Zuschauer mit einem Stakkato allzu schneller Schnitte zu überfordern, verfolgt die Kamera den Protagonisten in langen Fahrten durchs neongrelle Gestrüpp, stets darauf bedacht, wie in einem Videospiel immer den gleichen Fokussierungsabstand zur Hauptperson zu halten. Die Stereoskopie gewährt einen Einblick in die Welt des Planeten Pandora wie in ein Terrarium. Nur selten schweben in langsamen Szenen einmal Wassertropfen, Funken oder quallenförmige Samen vor der Leinwand. Wo frühe 3D-Produktionen bereits nach einer Stunde Kopfschmerzen verursachten, ist Avatar penibel darauf bedacht, über seine gesamte Laufzeit die Augen der Zuschauer nicht zu überanstrengen.

Wenn die blauhäutigen Na'vi sich in ihrer Sprache unterhalten, werden selbst die Untertitel in der richtigen Ebene eingeblendet. Das war bei der untertitelten Preview-Version im Sommer noch anders gewesen. In der Vorabversion hatte man große Schwierigkeiten, immer wieder zwischen den vorne schwebenden Untertiteln und den weiter hinten agierenden Personen zu fokussieren. Doch mittlerweile ist die einst nur auf Effekthascherei bedachte Stereoskopie erwachsen geworden. Nach einer Stunde vergisst man Technik und Brille und taucht in die Welt ein.

Doch so voluminös der optische Eindruck der 3D-Fassung ist, so eindimensional und berechenbar verläuft die Story, die man ohne Verluste auf die halbe Filmlänge hätte verdichten können. Cameron hat den Pocahontas-Stoff in den Regenwald eines fremden Planeten verfrachtet, ohne ihm eine spannende Wendung zu verpassen oder die Handlung mit vielschichtigen Charakteren zu unterfüttern, wie es etwa die Pocahontas-Adaptionen "Der mit dem Wolf tanzt" oder "Last Samurai" zuvor geschafft hatten.

Hauptdarsteller Sam Worthington, der schon in Terminator 4 nicht sonderlich überzeugte, nimmt man den desillusionierten und querschnittsgelähmten Kriegsveteran kaum ab, dafür wurde seine Rolle im Drehbuch zu glatt und klischeehaft angelegt. Eigentlich ist schon nach seinen ersten Schritten in seinem neuen Avatar-Körper klar, dass er fortan am liebsten in diesem neonbunt leuchtenden Garten Eden herumhüpfen würde. Auch die inzwischen 60-jährige Sigourney Weaver schlüpft in einen jungen kräftigen Avatar-Körper. Doch was ein wunderbares Fundament für einen Diskurs über Körperlichkeit und Jugendwahn abgegeben hätte, versandet in einer kurzen Reprise-Vorstellung ihrer Rollen aus "Aliens" und "Gorillas im Nebel". Einzig Zoe Saldana, die bereits als Uhura in Star Trek auf sich aufmerksam machte, sticht als spröde wilde Neytiri aus dem ansonsten belanglos und holzschnittartig aufspielenden Ensemble hervor. Wenn Anfang März die Academy Awards vergeben werden, darf Avatar auf Preise für sein Szenenbild, visuelle Effekte, Kamera und Schnitt hoffen, aber sicherlich nicht in den Hauptkategorien Film, Regie, Drehbuch oder schauspielerische Leistungen.

Wer jedoch ins 3D-Kino geht, um einen Science-fiction-Film zu sehen, wird enttäuscht sein. Avatar ist vielmehr ein in den Farbtopf gefallener Indianer-Film mit klassischen Western-Elementen. Die Na'vi haben wenig Außerirdisches an sich, sondern kommen einem mit ihrer an hiesige Naturvölker erinnernden Stammeskultur frappierend vertraut vor. Die wilden Pferde wurden gegen Urzeitvögel getauscht, und ihre Haut ist nicht rot, sondern blau – sonst bleibt alles beim Alten.

Statt die Neugier der Zuschauer durch eine geheimnisvolle Alienrasse zu wecken, badet Avatar in stereoskopischen Stereotypen. Cameron beschränkt sich auf einen schnörkellosen Haupthandlungsstrang, den man leicht mit spannenden Intrigen und glaubwürdigeren Charakteren hätte würzen können. Nach einer Stunde hat man sich an der bunten Fauna des Planeten satt gesehen und ahnt das unvermeidliche Ende mit seiner großen Schlacht im festlich beleuchteten Regenwald, bei der Pfeil und Bogen über Raumschiffe und Maschinengewehre triumphieren, bereits voraus. Dazu noch ein mit kitschigen Ethno-Rhythmen untermalter Abspannsong mit den Harmonien von "My Heart will go on", und Weihnachten kann kommen. (hag)