Web-Sperren: SPD verheddert sich im "Prinzip Löschen"

Nachdem der Verhandlungsführer der SPD-Bundestagsfraktion beim Zugangserschwerungsgesetz, Martin Dörmann, Fehler nur zögerlich einräumt, fordern Netzpolitik-Experten der Sozialdemokraten seine Ablösung als Sprecher.

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Nachdem der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Dörmann, Fehler bei den von ihm betreuten Verhandlungen zum Zugangserschwerungsgesetz im Rahmen der großen Koalition nur zögerlich einräumt, halten ihn jüngere Kollegen in den eigenen Reihen für nicht mehr haltbar. "Die Lösung kann nur sein, dass man ihn von seiner Funktion absetzt", erklärte ein Vertreter von Netzpolitik-Experten der Sozialdemokraten gegenüber heise online. Dörmann sei "nicht lernfähig" und "verspreche immer allen alles". Damit untergrabe er den Versuch des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Olaf Scholz, sich klar gegen das unter dem Aufhänger der Bekämpfung von Kinderpornographie von der SPD mit verabschiedete Gesetz für Web-Sperren zu stellen.

"Schluss mit dem Gewürge", hatte Scholz vor einer Woche gefordert. Im Blick hatte er dabei das Vorhaben der mittlerweile schwarz-gelben Regierungskoalition, die Anwendung der Regelung zur Sperrung kinderpornographischer Seiten für ein Jahr per Erlass auszusetzen. Vielmehr müsse das unter unglücklichen Umständen anhand "populistischer" Vorgaben beschlossene Zugangserschwerungsgesetz komplett aufgehoben werden. Doch die Schlingerbewegungen in der eigenen Fraktion gehen weiter. Unmut bei deren netzpolitisch Erfahrenen hat vor allem ein Schreiben Dörmanns an SPD-Abgeordnete ausgelöst, in dem er sich nach Ansicht seiner Gegner um eine echte Kurskorrektur windet.

Kerninhalte des im Frage- und Antwort-Stil verfassten Briefs hat der Medienexperte der SPD-Faktion inzwischen auf der Plattform Abgeordnetenwatch öffentlich gemacht. Darin hält Dörmann fest, dass Sperren "im Vergleich zu vielen anderen Instrumenten nur einen relativ geringen Beitrag zur Bekämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet leisten können". Deshalb sage die SPD ja: "Löschen ist der richtige, weil effizientere Weg." Im Rahmen eines vom Bundesparteitag im Juni abgesegneten Beschlusses wird dagegen die schwächere Maxime "Löschen vor Sperren" postuliert, die den Weg für das Zugangserschwerungsgesetz ebnete. Beobachter werfen dem Berichterstatter in diesem Punkt eine "180-Grad-Wendung" vor, die nicht glaubwürdig sei.

Auf Abgeordnetenwatch verweist Dörmann weiter darauf, dass eine Kinderpornographie-Expertin bei einer Anhörung ausgeführt habe, dass von Web-Blockaden "schon eine gewisse psychologische Wirkung" ausgehen könne. Sperren könnten eine "Hemmschwelle" für Nutzer bilden, "die sich in einem Schwellenbereich befinden". Anders als im Schreiben an die Fraktion gesteht Dörmann aber deutlicher Fehler ein. Ihm zufolge hätte die SPD "aus heutiger Sicht" offensiver gegen die zwischen dem Bundeskriminalamt (BKA) und fünf großen Providern auf Druck der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) geschlossenen Sperrverträge vorgehen sollen. Diese lägen nun aber faktisch aufgrund eines schwebenden Gerichtsverfahrens auf Eis. Damit gebe es auch nicht mehr den Bedarf, mit dem Zugangserschwerungsgesetz die Nutzer vor tieferen Eingriffen in die Grundrechte zu schützen und die Verträge auf eine angemessene rechtliche Grundlage zu stellen. Daher die Kehrtwende.

In einem Interview Dörmanns mit dem SPD-Hausblatt "vorwärts" heißt es mittlerweile, dass die Sozialdemokraten "für das Prinzip 'Löschen' sind und waren". In der ursprünglich am Mittwoch publizierten Version hatte dagegen gestanden, dass der in die parteiinterne Kritik geratene Abgeordnete immer für den jetzt verkündeten Ansatz "Löschen statt Sperren" gewesen sei. Ernst genommen wird die im Nachhinein angefügte Parole, über deren Gültigkeitsdauer der Streit mit ausgebrannt ist, offenbar zumindest von den Betreuern des Online-Auftritts des "vorwärts": Beobachtern zufolge haben sie zwei kritische Kommentare von Lesern stillschweigend entfernt. (pmz)