Indien verlangt UKW-Radios in allen Handys

Das bevölkerungsreichste Land der Welt möchte keine Mobiltelefone ohne UKW-Radio mehr im Handel sehen. US-Autos könnten zu Mittelwelle verpflichtet werden.​

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Beiger Radioapparat für UKW und MW

Ein analoger Radioapparat für den Empfang von UKW (Ultrakurzwelle) und MW (Mittelwelle)

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Alle Handys, ob Smartphone oder nicht, sollen zukünftig auch UKW-Radio empfangen können. Das verlangt das indische Ministerium für Electronic und Informationstechnik (MEITY). Es beklagt, dass es in den letzten "vier bis fünf Jahren einen drastischen Rückgang von Mobiltelefonen mit UKW-Empfänger" gegeben habe. Das beeinträchtige "nicht nur die Möglichkeit Armer, gebührenfreies UKW-Radio zu empfangen, sondern auch die Verbreitung von Informationen durch die Regierung bei Notfällen, Katastrophen oder Unruhen."

So steht es in einem Rundschreiben des Ministeriums von Ende April. Es ging an die Branchenverbände ICEA (Indian Cellular and Electronics Association) und MAIT (Manufacturers' Association for Information Technology), mit der Aufforderung, es "dringlich" an alle Handy-Hersteller und -Markeninhaber zu verbreiten. Speziell der Umstand, dass UKW-Empfang bei vielen Handys technisch möglich, aber nicht aktiviert ist, scheint die Behörde zu wurmen.

Tatsächlich können gängige Mobilfunkchips UKW-Signale (Ultrakurzwelle) auswerten. Das ist bei der analogen Technik auch nicht schwierig. Allerdings nutzt das nichts, wenn keine passende Antenne verbaut ist. Daher funktioniert UKW-Empfang bei manchen Mobiltelefonen nur dann, wenn ein kabelgebundener Kopfhörer angesteckt ist – dann dient dessen Kabel als Radioantenne.

Außerdem spielen Lizenzgebühren eine Rolle: Chiplieferanten verlangen von den Handyanbietern regelmäßig Lizenzgebühren für jede Funktechnik und jedes Frequenzband, das der Chip auswerten soll. Technisch sind die Chips gleich, aber welche Funktionen aktiviert sind, hängt von der Lizenzvereinbarung ab. Ein Chip mit deaktiviertem UKW-Empfang dürfte also geringfügig günstiger sein, als einer mit aktivem UKW.

Diese Sparmaßnahme nimmt das Ministerium nicht länger hin. Zusätzlich verlangt es aber die Aufrüstung aller Handys: "Ist die UKW-Empfangsfunktion nicht verfügbar in Mobiltelefonen, soll sie eingebaut werden", schreibt es kurz und knapp vor. Eine konkrete Umsetzungsfrist enthält das Dokument nicht. Das Ministerium vertraut offenbar auf zeitnahe Umsetzung durch die Branche, die es sich nicht mit der Regierung verscherzen möchte.

Das Rundschreiben ist offenbar eine Reaktion auf kritische Stimmen aus der Branche. Zunächst ventilierte nämlich die indische Regulierungsbehörde TRAI einen UKW-Zwang für Handys, worauf die Netzbetreiber wenig begeistert reagiert haben. Die Tageszeitung The Hindu zitierte am 27. April das Lamento des Technikchefs des Mobilfunknetzbetreibers Bharti Airtel über "Probleme in der Lieferkette". Außerdem müssten die Kosten von Endgeräten für Durchschnittskunden "unter Kontrolle bleiben", sollen sie von der breiten Masse gekauft werden. Tags darauf verkündete das Ministerium die UKW-Verpflichtung für Mobiltelefone.

Am selben Tag weihte Premierminister Narendra Modi 91 neue UKW-Sender ein, die entlegene Regionen mit 20 Millionen Einwohnern erschließen sollen. Ein politischer Hintergrund ist nicht auszuschließen: Zwar gibt es in Indien auch private Radiosender, sie dürfen aber keine Nachrichten produzieren, sondern müssen jene des staatlichen, aber offiziell unabhängigen, Akashvani (All India Radio) übernehmen.

Das stört die privaten Radiobetreiber seit jeher. Kleinere Stationen klagen zudem über drückend hohe Lizenzgebühren und fordern eine Deckelung bei vier Prozent ihres Umsatzes. All India Radio gilt als größter Radiobetreiber der Welt. Es produziert Programm in 23 Sprachen und 179 Dialekten, die über 479 Sender ausgestrahlt werden. Damit erreicht All India Radio fast 92 Prozent des Landes und 99 Prozent der Wohnbevölkerung.

In einem anderen großen Medienmarkt, den USA, steigt die Angst vor dem Verlust von Mittelwellenradio-Empfang in Kraftfahrzeugen. Laut Umfragen wünschen sich mehr Amerikaner Mittelwellenradio im Auto als USB-Anschlüsse. In Elektrofahrzeugen haben ausländische Hersteller wie Audi, BMW, Porsche und Volvo auf MW-Radios verzichtet, auch Tesla hat sie nur bis 2018 verbaut. Diese Firmen gaben letztes Jahr gegenüber The Drive an, dass die Elektrik zu starke Störungen verursache.

Die drei großen amerikanischen Autohersteller Ford, General Motors und Stellantis scheinen dieses Problem nicht zu haben; von ihnen gab es MW-Radios durchaus, vom kleinen Fiat 500e über den Chevy Bolt EUV, Fords Mustang Mach-E und F-150 Lightning bis zu GMs Cadillac Lyric und GMC Hummer EV.

Doch jetzt schrillen die Alarmglocken: Ausgerechnet Ford hat im aktuellen elektrischen Pickup F-150 Lightning 2023 kein MW-Radio mehr, und auch die elektrische Version des letzten verbliebenen Ford-Pkw, der Mustang Mach-E, wird 2024 kein Mittelwellenradio mehr haben. Dabei war Firmengründer Henry Ford selbst ein großer Radiomacher. In Zukunft sollen sogar neue Verbrenner-Fords keine MW-Radios mehr aufweisen. Damit bliebe Ford-Insassen in weiten, aber dünn besiedelten, Gebieten Nordamerikas nur noch der Empfang über kostenpflichtiges Satellitenradio.

Vielleicht bewahrt aber ein neues Gesetz US-Autofahrer vor dem Ennui: Am Mittwoch haben Abgeordnete beider US-Parteien einen Antrag sowohl im Senat als auch im Unterhaus eingebracht. Ähnlich wie die EU Digitalradio in Neuwagen zur Pflicht gemacht hat, soll der AM for Every Vehicle Act den gebührenfreien Einbau von MW-Radios in Kfz vorschreiben.

(ds)