OpenAI-Konkurrent Anthropic erhält weitere 450 Millionen Dollar an Finanzierung

Anthropic hat im Frühjahr 2023 insgesamt über eine Milliarde US-Dollar an frischem Kapital eingesammelt. Chatbot Claude gilt als starke Alternative zu ChatGPT.

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(Bild: Willyam Bradberry/Shutterstock.com)

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Silke Hahn
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Das 2021 von ehemaligen OpenAI-Führungskräften gegründete KI-Forschungsunternehmen Anthropic hat in einer Funding-Runde (Series C) Investitionen in Höhe von 450 Millionen US-Dollar erhalten, unter anderem von Google, Sound Ventures, den Investmentarmen von Salesforce und Zoom sowie von dem Risikokapitalgeber Spark Capital, der die Finanzierungsrunde als Hauptinvestor führt. Dabei handelt es sich um die dritte große Investition im laufenden Jahr: Im Februar war Google als Partner eingestiegen und hatte sich gegen 300 Millionen US-Dollar zehn Prozent Unternehmensanteile gesichert, und im März hat das KI-Start-up nochmals 300 Millionen US-Dollar in einer weiteren Finanzierungsrunde erhalten.

Zuletzt hatte Anthropic von sich reden gemacht, da das geschlossene Chatsystem Claude inzwischen ein deutlich größeres Kontextfenster an Text verarbeiten kann als ChatGPT, nämlich das Äquivalent von rund 75.000 englischen Wörtern (100.000 Token – bei deutschsprachigen Texten wären das deutlich weniger Wörter als im Englischen, da hier meist einzelne Silben ein Token darstellen, im Englischen hingegen oft ganze Wörter). Claude soll ganze Bücher binnen Sekunden neu einlesen und Fragen dazu beantworten können. Das eingeworbene Kapital will Anthropic laut eigenen Angaben in die Weiterentwicklung der API und seine Chatsysteme investieren.

Insbesondere Google scheint verstärkt auf Claude zu setzen und kündigte an, Anthropics Chatsystem parallel zu den eigenen Entwicklungen in Produkte zu integrieren. Im Gegenzug soll Anthropic sich bereiterklärt haben, Google Cloud zum bevorzugten Cloudanbieter zu machen und gemeinsam mit dem Unternehmen KI-Computersysteme zu entwickeln. Neben dem Programmierer und Investor Jaan Tallinn (unter anderem Entwickler von Skype und Investor bei DeepMind) zählen etwa Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz und der ehemalige Google-Geschäftsführer Eric Schmidt zu den Förderern von Anthropic.

Allein im Frühjahr 2023 hat das junge Unternehmen somit über eine Milliarde US-Dollar an Investitionen erhalten und verfügt insgesamt über 1,8 Milliarden Wagniskapital – im ersten Jahr der Gründung hatte es 750 Millionen US-Dollar eingeworben. Die zweite Finanzierungsrunde (Series B) hatte mit 580 Millionen US-Dollar der ehemalige Investor Sam Bankman-Fried über das Kapitalbeteiligungsunternehmen Alameda Research Ventures geführt – kurz vor dem spektakulären Crash seiner Kryptobörse FTX, die sich seit November 2022 in einem Insolvenzverfahren befindet.

Ob der laufende Prozess gegen Bankman-Fried und das Insolvenzverfahren die Liquidität des Start-ups beeinträchtigt haben, ist unbekannt und dürfte durch die neuen Finanzierungsrunden etwas in den Hintergrund treten. Laut Pitchdeck der Series-C-Runde rechnet das Führungsteam von Anthropic offenbar damit, dass die Anthropic-Anteile, die Alameda Research Ventures hielt, im Zuge des Insolvenzverfahrens veräußert werden. Dies geht aus Geschäftsunterlagen der Finanzierungsrunde hervor. Die Unternehmensbewertung von Anthropic soll bei über 4 Milliarden US-Dollar liegen.

Claude ausprobiert: Die Redaktion fragte Anthropics Chatsystem Claude+ im UI von Poe.com auf Englisch, wie Verlage der Disruption durch KI begegnen können. Die blau hervorgehobenen Textteile sind keine Hyperlinks, sondern als Themenvorschläge für Anschlussfragen zu verstehen. Klickt man sie an, geht der Chat in die nächste Runde.

(Bild: Poe.com)

Laut dem Pitchdeck von Anfang April 2023, in dem CEO Dario Amodei und sein Team Investoren ihre Pläne vorstellten, plant Anthropic ein KI-Modell, das "zehnmal leistungsfähiger als die derzeit mächtigsten KI-Systeme" sein soll. Wie das Magazin TechCrunch damals berichtete, rechnet Anthropic mit bis zu fünf Milliarden US-Dollar an Einnahmen bis 2025. Allein die Entwicklung eines "Frontier Model" mit dem Arbeitsnamen Claude-Next soll in den kommenden anderthalb Jahren etwa eine Milliarde US-Dollar kosten, und weitere Investitionen seien geplant. Bei Frontier handele es sich um einen "Algorithmus der nächsten Generation für selbstlernende KI", beim Training komme die hauseigene Methode "Constitutional AI" zum Einsatz. Sie soll KI-Systeme mit menschlichen Absichten in Einklang bringen (Alignment), damit sie auf Fragen und Aufgaben in einer vorhersehbaren Weise anhand von Richtlinien und Leitprinzipien reagieren.

Anthropic hat sich der KI-Sicherheit verschrieben: Die OpenAI-Abspaltung entstand laut eigenen Angaben aus Sicherheitsbedenken gegenüber der gängigen KI-Entwicklung großer Technikkonzerne (gemeint ist wohl insbesondere OpenAI). CEO und Mitgründer Dario Amodei hatte OpenAI nach viereinhalb Jahren in Führungsfunktion verlassen: Bis Dezember 2020 hatte Amodei bei OpenAI die Forschungsabteilung geleitet und war zwei Jahre lang (2016-18) Teamleiter für KI-Sicherheit gewesen. Das Anthropic-Team geht davon aus, dass die technischen Fortschritte der kommenden zehn Jahre einen großen Umbruch auslösen werden – der die Konzerne und Länder dazu verleiten könnte, unter Zeitdruck unsichere KI-Systeme in Betrieb zu nehmen.

Anthropics Mitbewerber OpenAI hatte Anfang des Jahres eine auf mehrere Jahre angelegte Finanzierungszusage über 10 Milliarden US-Dollar durch Microsoft erhalten. Die beiden Unternehmen sind seit 2019 Partner, was Microsoft bevorzugten, teils exklusiven Zugriff auf die Entwicklungen von OpenAI eröffnet und beiden Unternehmen Marktvorteile verschafft. Weiterführende Informationen zur Series-C-Finanzierungsrunde bei Anthropic lassen sich dem Blogpost entnehmen. Zur Abspaltung von OpenAI und abweichenden Ausrichtung des KI-Unternehmens hat Heise im April 2023 ausführlicher berichtet, und Details zum Chatsystem Claude stehen separat bereit.

Claude über Poe.com testen: Begrüßungs-Popup

(Bild: Poe.com)

Das Chatsystem ist über den Hersteller selbst nicht öffentlich wie ChatGPT, sondern zurzeit nur ausgewählten Kunden unter Angabe der Identität sowie der geplanten Einsatzzwecke erhältlich. Einfacher testen lässt sich Claude über Drittanbieter wie Poe.com (auch erhältlich als iOS App und Android App): Bei diesem Anbieter sind neben GPT-4 (eingeschränkt) und GPT-3.5 drei Claude-Varianten nutzbar, Claude Instant, Claude 100k (Beta), Claude+ (teils mit eingeschränktem Kontingent).

Die Redaktion hat sich Claude über Poe mit einem Testzugang angeschaut, die erste Woche ist laut Geschäftsbedingungen kostenlos. Hinweis: Vergisst man, im Testraum zu kündigen, greift unter Umständen ein Abo und es können Kosten anfallen. Ein Vergleich der verfügbaren KI-Chatsysteme von OpenAI und Anthropic unter Nennung der zugrundeliegenden KI-Modelle findet sich in der Rubrik "About".

Update

Absatz über die Verfügbarkeit von Claude erweitert.

(sih)