Digitalisierung: Industrie fordert Einbezug bei E-Patientenakte für alle und Co.

Der Bundesverband der Gesundheits-IT kritisiert erneut knappe Fristen und zu wenig Einbindung der Industrie bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.

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(Bild: PopTika/Shutterstock)

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Der Bundesverband der Gesundheits-IT (BVITG) kritisiert "gesetzliche Pflichten [...] und fehlende Evaluierung von Neuerungen im Betrieb". Das sei beispielsweise bei "der Bereitstellung ungeeigneter Funktionalitäten wie der Archiv- und Wechselschnittstelle" (AWSt) zum Datenaustausch zwischen Systemen der Fall. Diese wird unter anderem vom BVITG bereits seit Jahren kritisiert, wie auch aus einem Bericht der Ärztezeitung hervorgeht. Es ginge viel Zeit für die Implementierung der Schnittstelle verloren – Mehrwerte seien derzeit ebenfalls nicht erkennbar. "Parallelentwicklungen und mögliche Synergien" würden bei den Vorgaben nicht bedacht, heißt es in dem Positionspapier.

"Ein wenig wirkt das Vorgehen des BVITG wie das Zünden der berühmten Nebelkerze, um davon abzulenken, dass man selber bei der ePA die Fristen nicht wird einhalten können", kommentiert die KBV die Kritik des Branchenverbands. Spezifiziert wird die AWSt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und wurde erstmalig im Juli 2019 im Interoperabilitätsverzeichnis "vesta" veröffentlicht. Hersteller von Praxisverwaltungssoftware müssen die Schnittstelle zur Archivierung und den Wechsel eines Praxisverwaltungssystems implementieren. Die Schnittstelle sei nach Ansicht der Softwarehersteller jedoch ungeeignet. Bisher würde die Datenübertragung bereits "in ausschließlicher Verantwortung und Eigenregie des neuen Anbieters, mithilfe von ausgereiften und permanent aktualisierten Tools von auf Systemwechsel spezialisierten Anbietern" erfolgen.

Der Einsatz der AWSt gehe jedoch mit einem Datenverlust einher. Zwar könnten Bilddaten und Dokumente über eine Referenz mit dem neuen Praxisverwaltungssystem verknüpft werden, bei Daten aus Drittsystemen – etwa für die Archivierung oder Radiologie – ginge diese Verknüpfung allerdings verloren, schreibt der BVITG. Schon bei einer Einzelpraxis sei die Datenübertragung zeitaufwendiger als mit Programmen, die sich bereits bewährt haben. Die Umsetzung der Schnittstelle in einem PVS sei komplex und erfordere viele Entwickler-Ressourcen. Die neue Version der AWSt 1.3.0 würde mehrere Personenmonate pro Hersteller in Anspruch nehmen und bliebe gleichzeitig "signifikant hinter den bewährten Tools zurück".

Dass Entwickler-Kapazitäten unnötigerweise gebunden werden, sei nicht vereinbar mit der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und der Umsetzung der "elektronischen Patientenakte für alle" und einem mit dieser verbundenen digitalen Medikationsmanagement. Ebenso sei die AWSt nicht ausreichend kompatibel mit anderen FHIR-basierten Datenstrukturen für die Interoperabilität. Neben der Kompatibilität zu weiteren Schnittstellen wie der für Informationstechnische Systeme in Krankenhäusern (ISiK) fehle auch die zur Verordnungssoftware-Schnittstelle (VoSS). Für VoSS ist ebenfalls die KBV verantwortlich. Daher müsse der AWSt-Arbeitskreis laut Branchenverband an der Kompatibilität mit ISiK und VoSS arbeiten.

Auch das bei der für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständigen Gematik eingerichtete Expertengremium "Interop Council" hat bereits einen Arbeitskreis zur "Analyse der Effizienz der Archiv- und Wechselschnittstelle" gegründet. Der Bvitg schlägt daher vor, "den gesetzlichen Auftrag zur Bereitstellung der AWSt" zu überprüfen. Außerdem soll das BMG priorisieren und prüfen, wann welche Vorhaben durch die Softwarehersteller umgesetzt werden müssen.

Da die Gematik die Industrieexpertise nicht in die Spezifikationsarbeiten einbinde und der "zeitliche Abstand zwischen der Veröffentlichung finaler Spezifikationen und der geplanten Einführung", ließen sich Digitalisierungsprojekte nicht den Plänen des BMG entsprechend umsetzen. Etwa das "Ziel der Prüfung für die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) mithilfe der Rezeptdaten in der ePA" werde sich bis Ende 2024 nicht umsetzen lassen. Daher schlägt der Bvitg vor, mit der Gematik und dem BMG gemeinsam die ePA als auch AMTS "qualitätsgesichert einzuführen und so die Fehler der vorherigen Legislaturperiode mit unrealistischen Zeitplänen und Erwartungen zu vermeiden".

Die Gematik stehe mit dem BVITG regelmäßig im Austausch und binde die Industrie frühzeitig mit ein, wie die Gesundheitsagentur gegenüber heise online mitgeteilt hat. So gingen die Spezifikationen beispielsweise in die Vorab-Kommentierung. "In Workshop und Sprechstunden zu unseren verschiedenen Anwendungen mit bis zu 160 Teilnehmenden tauschen wir uns mit Industriepartnern direkt aus", heißt es von der Gematik. Zur ePA und dem Medikationsmanagement wurden demnach Workshop-Reihen gestartet. Das BMG hat sich bisher noch nicht zu der Kritik des Branchenverbands geäußert.

(mack)