100 Tage Cell Broadcast: Alle 36 Stunden eine amtliche Handy-Warnung

Seit dem offiziellen Start von DE-Alert (Cell Broadcast) im Februar haben Behörden die Bevölkerung in einzelnen Kreisen schon 77-mal etwa vor Unwettern gewarnt.

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(Bild: zekkoukyo/Shutterstock.com)

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Die meisten deutschen Mobiltelefon-Nutzer dürften erst einmal am bundesweiten Warntag Anfang Dezember mit der Technologie Cell Broadcast aufgrund eines lautstarken Piepens ihres Geräts in Kontakt gekommen sein. Damals wurde das hierzulande "DE-Alert" getaufte Alarminstrument erstmals getestet. Seitdem das Warnsystem am 23. Februar offiziell in Betrieb ging, lösten die Behörden aber bereits 77-mal in einzelnen Städten, Landkreisen oder Regionen den kaum überhörbaren Handy-Alarm aus. Als Beispiele nennt der Netzbetreiber Vodafone einen Amoklauf in Hamburg, einen Großbrand in Münster, Explosionsgefahr in Essen und den Hinweis auf drohendes Hochwasser in Lübeck, mit dem die dortige Feuerwehr Ende Februar die Taufe für DE-Alert absolvierte.

"Das neue System funktioniert in unserem Netz sehr zuverlässig" zieht Tanja Richter, Netzwerkchefin von Vodafone Deutschland, zufrieden eine Zwischenbilanz nach den ersten 100 Tagen. Durchschnittlich sei alle 36 Stunden jeweils in einem Teil des Bundesgebiets ein amtlicher Alarm über das System herausgegangen. "Bei jeder einzelnen Warnung wurden alle empfangsbereiten Endgeräte sicher erreicht." Mit Cell Broadcast könne die Bevölkerung in betroffenen Gebieten "gezielt und schnell per Textnachricht auf mobilen Endgeräten" alarmiert werden – etwa bei Unwetter, Bränden, Erdbeben oder Überflutungen.

Vodafone hat die hierzulande neue, allerdings schon 1997 in Paris vorgeführte Technik nach eigenen Angaben in seinem gesamten Mobilfunknetz in allen 26.600 Stationen in den 294 Landkreisen und 107 kreisfreien Städten in Deutschland implementiert. Der Amoklauf in Hamburg am 9. März sei bisher das verheerendste Ereignis gewesen, bei dem die Bevölkerung im Umkreis des Tatorts vor möglichen weiteren Attentaten gewarnt wurde. Einschlägige Mitteilungen seien etwa vor der Entschärfung von Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg und bei Stromausfällen herausgegangen.

Spitzenreiter in der hiesigen Cell-Broadcast-Statistik ist Rheinland-Pfalz mit 20 Ereignissen, gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 17. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bremen und im Saarland kam das System noch gar nicht zum Einsatz. Mit Cell Broadcast werden – wie bei SMS – zur Nachrichtenübermittlung die Signalisierungskanäle des Mobilfunknetzes genutzt. Eine individuelle Adressierung ist aber nicht nötig. Warnmeldungen werden von der Antenne wie ein Rundfunksignal an alle in die Funkzelle eingebuchten Geräte geschickt und von diesen empfangen, wenn die technischen Voraussetzungen dafür vorliegen.

Bei Gefährdungen für die Bevölkerung setzen die Warnungen in Deutschland die zuständigen Lagezentren der Bundesländer sowie die Leitstellen der Landkreise und kreisfreien Städte ab. Sie legen dafür ein Gebiet fest, für das die Hinweise gelten. Diese Informationen übermitteln sie an die Mobilfunkbetreiber, die die Cell-Broadcast-Textnachricht über ihr Netz an die Endgeräte der Kunden versenden. Voraussetzung für den Empfang ist, dass Handy, Smartphone oder Tablet mit dem System kompatibel sowie angeschaltet und empfangsbereit sind. Allerdings zeigt auch dann nicht jedes Mobilgerät die Mitteilungen automatisch an. Je nach Modell muss der Anwender teils noch die Voreinstellungen anpassen.

Nach viel Kritik überarbeitete die Bundesnetzagentur (BNetzA) die technischen Vorgaben für das System vorigen Sommer. Sie will damit vor allem sicherstellen, dass einschlägige Warnmeldungen möglichst viele, auch ältere Mobiltelefone empfangen können. In der ursprünglichen, im Februar 2022 herausgegebenen Form der Richtlinie für die technischen Maßnahmen, die die Netzbetreiber Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica und 1&1 durchführen sollen, definierte die BNetzA verschiedene vierstellige Message Identifier (IDs). Die Crux: Derart lange Kennungen sind in den allermeisten älteren Mobiltelefonen etwa von Nokia oder Ericsson gar nicht vorgesehen. Aber auch viele iPhones blieben zunächst außen vor. Nun soll die dreistellige Message-ID 919 dazukommen.

Momentan würden Cell-Broadcast-Warnungen "an moderne Smartphones mit aktuellen Betriebssystemen zuverlässig ausgeliefert", erklärt Vodafone dazu. Um künftig auch ältere Geräte zu erreichen, werde voraussichtlich ab November 2023 ein weiterer Broadcast-Kanal bedient. Besitzer älterer Handy-Modelle könnten dann diese Kanalnummer unter den Voreinstellungen wählen und so die Warnungen ebenfalls empfangen. Dieser neue Kanal 919 werde unabhängig von den Geräteherstellern eingeführt.

(tiw)