ACTA: Neue Enthüllungen, neue Befürchtungen

Laut einem Dokument der EU-Kommission gibt es in den Verhandlungen über das geplante Anti-Piraterie-Abkommen noch unterschiedliche Positionen der Delegationen Brüssels, Washingtons und Tokios.

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Ein Dokument der EU-Kommission zum Verhandlungsstand beim geplanten Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA) gibt erstmals Einblicke in unterschiedliche Positionen Brüssels, Washingtons und Tokios. Das 44-seitige Dokument (PDF-Datei), das über den EU-Rat am 12. Februar verschickt wurde, wurde Anfang der Woche in einem Blog der Linken veröffentlicht und wird seitdem von Rechtsexperten und Bürgerrechtlern heftig diskutiert. Unterdessen ist die die Bundesregierung einer Initiative anderer EU-Mitgliedsstaaten beigetreten und setzt sich für mehr Transparenz bei den Verhandlungen ein.

Dem Papier zufolge gibt noch Widerstand gegen den Vorstoß der USA, ein "Three Strikes"-Szenario über das Internetkapitel des Abkommens international einzuführen. Zugangsanbieter sollen im Kampf gegen illegale Filesharing-Aktivitäten und andere Rechtsverletzungen gewisse Maßnahmen ergreifen, damit sie Haftungsprivilegien genießen. Als Beispiel werden ausdrücklich Modelle der "abgestuften Erwiderung" bis hin zu Netzsperren aufgeführt. Neuseeland, dessen Regierung im eigenen Lande selbst an einer "Three-Strikes"-Regelung arbeitet, ist allerdings gegen diese Koppelung der Providerprivilegien an weitergehende Auflagen.

Die japanische Delegation hat dem Dokument zufolge den Gegenvorschlag unterbreitet, Zugangsanbieter für Rechtsverletzungen der Nutzer haften zu lassen, wenn sie davon voraussichtlich Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich ist, die Verstöße zu verhindern. Generell hat Tokio Bedenken gegen einen Ansatz, der eine abgestufte Erwiderung gesetzlich vorschreiben würde. Auch Kanada hält die ganzen im Raum stehenden Haftungsregeln für Provider noch für zu unklar. Widerstand gegen den weiteren Ansatz der USA, Spielräume bei der Umsetzung der "Internet-Verträge" der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zu verengen, gibt es gemäß dem Papier von Seiten der EU, Japans und Neuseelands. Besonders umstritten ist demnach, ob auch Zugangskontrolltechniken erfasst werden sollen.

Auseinandersetzungen gibt es ferner über das Kapitel zur besseren zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern. Die USA, Japan und die EU drängen hier gemeinsam darauf, dass sich entsprechende Befugnisse nicht nur auf Marken- und Urheberrechte, sondern auch auf Patentrechte beziehen. Kanada, Neuseeland und Singapur sind gegen einen derart weiten Ansatz. Zudem setzt sich Brüssel allein dafür ein, dass einstweilige Verfügungen auch gegen Vermittlerinstanzen wie Provider erwirkt werden können. Auch bei den Vorschlägen zur Schadenersatzberechnung liegen die Parteien noch weit auseinander. Die EU will hier den Wert der betroffenen Ware nach Handelspreis ansetzen. Die USA und Japan würden "jeden legitimen Wertmaßstab" gelten lassen, "den ein Rechteinhaber vorbringt".

Der kanadische ACTA-Kritiker Michael Geist spricht von einer der größten Enthüllungen rund um das offiziell hinter verschlossenen Türen verhandelte internationale Abkommen zur Bekämpfung der Produktpiraterie. James Love von der Organisation Knowledge Ecology International (KEI) ist aufgefallen, dass mit den diskutierten Haftungsmodellen bestehende Ausnahme- und Schrankenrechte ausgehebelt werden könnten. So setzte sich Brüssel für die Streichung von Kopierprivilegien der Öffentlichkeit im Sinne der "Fair Use"-Bestimmungen ein. Die britische Politikbeobachterin Monica Horten merkt an, dass ACTA wieder Forderungen nach einer "sich gegenseitig unterstützenden Beziehung" zwischen Providern und Rechteinhabern mit sich brächte. Entsprechende Appelle zur "Zusammenarbeit" seien bereits im Streit um das EU-Telecom-Paket laut geworden. (vbr)