Strafverfolger: Vorratsdatenspeicherung ist kein Allheilmittel

Thomas Schell, Oberstaatsanwalt in Cottbus, hat den Zugriff auf IP-Adressen als wichtigen, aber nicht immer weiterführenden Ermittlungsansatz im Internet bezeichnet. Bürgerrechtler warnen zugleich vor "Versuchungen zur Unfreiheit".

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Thomas Schell, Oberstaatsanwalt in Cottbus, hat den Zugriff auf IP-Adressen als wichtigen, aber nicht immer weiterführenden Ermittlungsansatz im Internet bezeichnet. Es handle sich bei den Netzkennungen "um kein Allheilmittel", räumte der in einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Datennetz-Kriminalität tätige Strafverfolger im Rahmen der Debatte um die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten ein. So könne man mit den Angaben zwar einen Anschlussinhaber ausfindig machen, ein Netzzugang werde häufig aber von verschiedenen Personen genutzt, meinte Schell am Mittwoch auf einem Kongress des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco und der Zeitschrift "MultiMedia und Recht".

Im Prinzip handelt es sich beim Zugriff auf Nutzerdaten hinter IP-Adressen laut Schell um einen Anstoß für weitere Ermittlungen. So könne man im Anschluss etwa Durchsuchungen durchführen und PCs beschlagnahmen, um damit konkretere Hinweise auf einen Täter zu erhalten. Bei ausländischen Providern gestalte sich die Sache aber schwierig. Schon die Kooperation mit Zugangsanbietern in London sei schwierig, da es Probleme mit der Rechtshilfe gebe. Nur Anfragen bei schweren Straftaten würden hier zügig weitergeleitet. Ähnlich gestalte sich die Situation in Ost-Europa. Asien gehe zudem "gar nicht".

Trotzdem müsse sich die Gesellschaft mit der Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen, dass gerade Delikte im Bereich der unteren und mittleren Kriminalität wie die Ausspähung von Daten, Urheberrechtsverletzungen oder Beleidigungen im Internet "nicht mehr verfolgbar sind". Es gebe zwar noch andere Wege der Strafverfolger etwa über die Auswertung von E-Mail-Adressen. Dabei würde man in der Regel aber auch wieder nur bei IP-Adressen oder bei falsch angegebenen "Bestandsdaten" kostenloser Maildienste landen. Für die Nachverfolgung aktueller Zugriffe auf ein Postfach wiederum gälten die recht hohen Anforderungen der Strafprozessordnung, sodass auch hier bei mittlere Straftaten nicht weiter ermittelt werden könne. Oft helfe den Strafverfolgern so nur die Tatsache weiter, dass etwa Anbieter sozialer Netzwerke IP-Adressen "sowieso mitloggen".

Diese Praxis sei freilich rechtswidrig, stellte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar klar. Nutzungsdaten wie IP-Adressen müssten laut Telemediengesetz (TMG) von den entsprechenden Firmen nach Inanspruchnahme des Dienstes gelöscht werden. Die Karlsruher Richter hätten IP-Adressen auch nur deswegen als "weniger bedeutsam" angesehen, weil diese nicht auf der Serverseite über längere Zeit hinweg registriert würden. Falls die Netzkennungen aber doch von den Anbietern "lückenlos" aufbewahrt würden, seien diese als besonders schutzwürdiges personenbezogenes Datum zu behandeln. Man könne dann schließlich Rückschlüsse auf die Kontexte einzelner Nutzungsvorgänge ziehen, was dem Fernmeldegeheimnis unterfalle.

Weiter betonte Schaar, dass auch in der physischen Welt nicht alle Straftaten aufzuklären seien. So gebe es etwa kaum Spuren bei Brandanschlägen auf Autos. Trotzdem würde niemand dafür plädieren, jeden Verkauf von Streichhölzern oder Spiritus registrierungspflichtig zu machen. "Hoch organisierte Straftäter" seien ferner im Internet in der Lage, sich der Strafverfolgung auch bei der verdachtsunabhängigen Speicherung von IP-Adressen zu entziehen. Es handle sich somit nicht um einen "Universalschlüssel", ging der Datenschützer mit Schell konform.

Prinzipiell sprach sich Schaar dafür aus, das "Gouvernantenhafte" des Datenschutzes zu beenden und stattdessen "verstärkte Vorgaben" etwa für Transparenz in der digitalen Welt zu machen, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu sichern. Die Durchsetzung entsprechender Verhaltenskodizes von Staat und Wirtschaft wie das "Safe Harbour"-Abkommen mit den USA müssten dann aber auch international gewährleistet werden. Parallel hätten auch Werber, die Nutzerprofile erstellen und den Surfern verhaltensbezogene Anzeigen servieren, die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen zu achten und deren Einwilligung abzufragen.

Aus Providersicht unterstrich Nikolaus Bertermann, Justiziar bei Strato, dass es die "Masse" der Datensammlung im Rahmen der vom Verfassungsgericht zunächst gestoppten sechsmonatigen Protokollierung der Nutzerspuren nicht brauche. So habe der Anbieter zwar "über vier Terabyte Daten" angehäuft, was dem achthunderttausendfachen Umfang der Bibel entspräche. Es habe aber "keine einzige Anfrage" der Ermittler gegeben. Die Anfragen von Kunden zum Datenschutz seien dagegen in den vergangenen Monaten enorm angestiegen.

Gerhart Baum, früherer Bundesinnenminister und einer der Kläger gegen die Vorratsdatenspeicherung, bezeichnete es als unerlässlich, "gesetzliche Schutzräume zu erhalten, in denen wir uns dann bewegen können". Es gelte, "Versuchungen zur Unfreiheit" zu widerstehen. Sicherheit dürfe nicht als "absolutes Ziel" festgesetzt werden, sondern müsse immer einen "Bezugspunkt zur Freiheit" wahren. Sicherlich gebe es nun eventuell "Lücken" bei der Strafverfolgung. Diese seien aber "Ergebnis der Abwägung" mit den Grundrechten. Zugleich machte der Liberale deutlich, dass ihm ein komplettes Aus für die Vorratsdatenspeicherung lieber gewesen wäre und Karlsruhe den Konflikt mit der EU hätte eingehen müssen. Das Urteil sei "nicht aus einem Guss". Es habe zwar klargemacht, dass der Spielraum für vergleichbare Überwachungsmaßnahmen in Europa nahezu ausgeschöpft sei. Trotzdem fürchte er, dass die Begehrlichkeiten für "Datensammlungen en masse" weiter groß blieben.

Auch der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler, äußerte die Vermutung, "dass auf Verdacht das gespeichert wird, was technisch machbar ist". Man werde daher die Debatte über mögliche Änderungen an den EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung "kritisch begleiten". Der Hinweis aus Karlsruhe auch an den EU-Gesetzgeber, "Maß walten zu lassen", sei in Brüssel angekommen. Am Ende werde es dann aber eine Verpflichtung geben, "das umzusetzen, was Ergebnis der Auseinandersetzung" auf EU-Ebene sei. (jk)